Schlagwort: Spenden


  • Das Märchen von der Zwangsabgabe

    tl;dr: Es passiert auch linken Menschen und ausgewiesenen Anti-Rassisten, auf die Rhetorik-Tricks vom rechten Rand hereinzufallen.

    geld

    Zunächst möchte ich kurz um Entschuldigung bitten. Das folgende Stück liest sich wie ein Beitrag zur immergleichen Empörungskultur in den sozialen Medien. Das ist nicht meine Absicht. Ich möchte zeigen, wie leicht eins unabsichtlich auf rhetorische Tricks der Neurechten, Pegidioten und Nazis hereinfällt und diese übernimmt. Insbesondere sobald es um Geld und das eigene Portemonnaie geht, hört die Liebe nämlich ganz schnell auf – und rechte Rhetoriker wissen das.

    Die Geschichte beginnt mit der wohlmeindenden Äußerung des Schauspielers Walter Sittler, mehr Geld für Geflüchtete bereit zu stellen. (Facebook-Link). Er schlägt unter anderem vor, dass wir alle 0,5 % unseres Jahresgehaltes spenden – der etwas hilflose Versuch, angesichts des braunen Mobs, zu Solidarität aufzurufen. Sofort ist das Wort „Zwangsabgabe“ in der Welt. Darüber regen sich viele Menschen auf, ganz als hätte Angela Merkel höchstselbst die Einführung einer Zwangsabgabe zum 1. August angekündigt – und nicht irgend ein Schauspieler in einer Talkshow. Da frage ich mich natürlich: Wäre diese Empörung genauso groß ausgefallen, wenn Sittler zu – sagen wir mal – Spenden für den Tierschutz aufgerufen und Bilder von Robbenbabies gezeigt hätte?

    Traurig an der Geschichte ist, dass auch Menschen, die sich selbst eher links verorten, ausgewiesene Antirassisten sind durchaus für Geflüchtete einsetzen, auf diesen Zug aufspringen. Das polemische Schlagwort einer vermeintlichen „Zwangsabgabe“ aus dem Mund eines Schauspielers scheint auszureichen, dass die Menschen ihre Gehirne ausschalten und ihren Geldbeutelschutzreflexen nachgeben. Die Argumente, die sie äußern, erinnern erschreckend an das, was sich sonst aus der braunen Ecke zu hören ist:

    Erstes Argument: „Zwangsabgabe? Dann zahlen wieder nur die kleinen Leute.“ Es ist nur Millimeter entfernt von „Die geben unser Geld für Ausländer aus statt für die wirklich bedürftigen Deutschen“. Geflüchteten soll geholfen werden, aber bitteschön nicht auf meine Kosten.

    Wenn jemand dann darauf hinweist, dass von einer Zwangsabgabe nicht die Rede sein kann und jemand gerne zu Spenden aufrufen möchte, folgt Argument 2: „Spenden sind doof, siehe Tafeln und Hartz IV, die helfen nur, dass sich der Staat aus der Verantwortung stehlen kann.“ Da ist sicher was dran. Wenn es um die Tafeln geht. Ansonsten: Ich stelle mir das gerade bildlich vor, wie ab jetzt Woche für Woche Hunderttausende auf die Straße gehen und mehr Geld für Geflüchtete fordern, bis der Staat endlich einlenkt seine Ausländerpolitik ändert. Ich glaube, dass denjenigen, die dieses Argument benutzen, gar nicht bewusst ist, wie zynisch ihre Reaktion klingt.

    Im weiteren Verlauf der Diskussion kommt dann Argument Nummer drei: „Die Politiker, Nato und die bösen USA sind Schuld an den Zuständen in Ländern wie Syrien. Ohne diese hätten wir gar kein Flüchtlingsproblem.“ Das Argument kommt gerne auch in der Geschmacksrichtung: „Waffenhandel verbieten, ohne Waffen kein Bürgerkrieg und ergo keine Flüchtlinge.“ Ja, es ist richtig, dass die Konflikte in vielen Ländern auch Folge der westlichen Politik sind und ja, Geld mit Waffenhandel zu verdienen, ist in vielen Fällen unethisch. Das ändert aber nichts daran, dass selbst wenn diese politischen Forderungen eines fernen Tages tatsächlich  umgesetzt ist und der Waffenhandel global zu Erliegen gekommen ist, die Flüchtenden hier und heute vor unserer Tür stehen und Hilfe brauchen. Die Argumentation, „die da oben“ seien Schuld an der Misere, ist gerade auch bei Pegida, AfD und NPD sehr beliebt. Das Argument ist eng verwandt mit der Aussage, die Leute sollten ihr eigenes Land in Ordnung bringen, statt zu uns zu flüchten. Damit versucht die neue Rechte schon lange, ihr völkisches, nationalistisches und ausländerfeindliches Denken in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. So zu denken ist ja auch äußerst angenehm: es entlastet einen selbst von jeglicher Verantwortung und kann so jede Forderung, Geflüchteten zu helfen weit von sich weisen: Warum fragt ihr mich, schließlich sind „die Politiker“ schuld!

    Kommen wir am Ende noch zurück zur eigentlich gar nicht im Raum stehenden „Zwangsabgabe“ und zu Argument Nummer 4. Eine solche Zwangsabgabe sei unklug, da das die Abwehrhaltung in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen verschlimmere. Der Haken: Deutschland gibt derzeit fast 3 Milliarden Euro Steuergelder für Geflüchtete und Asylbewerber aus. Die Zwangsabgabe besteht also längst, schließlich können wir uns nicht aussuchen, ob wir unsere Steuern zahlen wollen oder nicht. (Und das ist gut so.) Würde der Staat aus Angst vor Krawall von Rechts und nur um die Demonstranten und Brandstifter vor den Asylbewerberunterkünften diese Steuergelder nicht mehr ausgeben(*) – die Rechten von Pegida bis NPD hätten gewonnen. Mit freundlicher Unterstützung übrigens all derer, die sich gerade über einen Spendenaufruf eines Schauspielers aufregen, den irgendjemand „Zwangsabgabe“ genannt hat.

    P.S.: (*) Der Staat versucht übrigens genau das.