Ich habe heute mal was in dieses Google-Plus reingeschrieben, das so umfangreich und fehlerhaft war, dass ich es lieber hier noch mal redigiert bloggen möchte. Ich finde, ich habe in diesem Text meinen Standpunkt relativ erschöpfend zusammengefasst, und habe damit einen Link, den ich allen Pseudonymphobikern an den Kopf werfen kann – oder auch Leuten, die der Auffassung sind, ich wolle mich mit dem Thema nur profilieren.
Mir kommt bei dieser Pseudonym-Diskussion den Verdacht, dass ein Teil derjenigen, die auf Klarnamen bestehen, in Pseudonymen einen kulturelle Affront sehen und sie sich deshalb in einem Netz der Pseudonyme fühlen wie Sarrazin in Kreuzberg. Das betrifft vor allem diejenigen, die schon gar nicht mehr den Text lesen, den ich verlinke, sondern munter drauflos kommentieren. Ich fühle mich gerade in dieser Debatte ein wenig wie Sascha Lobo – der kennt ja auch das Problem, dass manche reflexartig das Maul aufreißen, sobald er überhaupt etwas schreibt – egal was und worüber eigentlich.
Mir geht es um das gute alte „On the Internet, Nobody Knows You’re a Dog“. In dieser Hinsicht bin ich wohl etwas konservativ. Ich finde diese alte Sicht aufs Netz gut. Dabei geht nicht nur darum, dass keiner Wissen soll, wer ich bin, sondern dass ich Freiheitsgrade gewinne, mit meiner eigenen Identität zu spielen und sie zu erforschen. Anders gesagt: „Die Ennomane“ gäbe es ohne das Internet gar nicht und sie deckt sich auch nicht zu 100% mit „Enno Park„. Trotzdem bin ich sowohl „Die Ennomane“ als auch „Enno Park“ und wenn eine der beiden Identitäten weniger echt sein sollte, dann wüsste ich noch nicht einmal zu sagen, welche von beiden denn eigentlich.
Es geht aber auch um reale Anonymität und dass sie Menschen schützt. Anonymität mag zwar eine Illusion sein, aber in der Praxis ist hinreichende Anonymität im Internet sehr wohl möglich, auch wenn sich theoretisch mit hohem Aufwand die Personalausweis-Identität jeder Person feststellen ließe. Theoretisch kann man sich aber auch bei Clubtreffen der Anonymen Alkoholiker an den Eingang stellen und schauen, ob da jemand reingeht, den man kennt. Die Frage, in welchem Grad Anonymität eigentlich möglich und machbar ist, hat also kein genuines Problem des Internet und spielt in dieser Debatte eigentlich nur eine untergeordnete Rolle.
Die Liste unter „Who is harmed by a „Real Names“ policy?“ ist geradezu erschlagend. Zumindest für Teile der in dieser Liste genannten Zielgruppen, Minderheiten und Menschen ist es essenziell, Pseudonyme zu verwenden. Leute, die das als Befindlichkeiten oder Mimimi abtun, sollte man mit Fug und Recht als Ignoranten bezeichnen dürfen. Und auch wenn es in Deutschland keine politische Unterdrückung geben mag: Stalking, Sexismus und Diskriminierung im kleinen kommen auch hier sehr wohl vor.
Auch will mir das Argument, Google habe ein „Hausrecht“ auf seiner Plattform, nicht einleuchten. Natürlich ist niemand gezwungen, Google+ zu verwenden – hat man aber ein gesellschaftliches Anliegen und möchte man dieses vortragen, dann ist es eine empfindliche Einschränkungen, von Plattformen wie Google oder Facebook ausgesperrt zu werden – auch wenn Google+ diese Relevanz derzeit noch nicht hat. Ich wage die Behauptung, dass Pseudonymintoleranz eine Einschränkung der Meinungs- und Redefreiheit ist – sogar eine recht empfindliche, weil schon die Basis der Meinungsfreiheit betroffen ist, nämlich unter welchem Namen oder mit welcher Identität ich mein Grundrecht eigentlich ausüben will. Schließlich wirkt jede Äußerung eines Menschen immer auch im Kontext der Person, die sie ausspricht.
So etwas wie ein „Hausrecht“ kann deshalb sehr wohl durch Gesetze eingeschränkt sein: Zum Beispiel muss eine Zeitung Gegendarstellungen abdrucken – und auch ein Anbieter von Online-Communities ist zumindest in Deutschland nach dem TMG gesetzlich dazu verpflichtet, die Nutzung unter Pseudonym zu ermöglichen.
Als wäre das alles noch nicht genug, hält sich Google noch nicht einmal an die eigenen Richtlinien. Auch die neuesten Statements von Google-Mitarbeitern fordern weiterhin Klar- bzw. Alltagsnamen, die eine eindeutige Zuordnung erlauben. Gleichzeitig wurden aber Leute wie Michael „mspro“ Seemann, ich selbst und einige andere Pseudonym-Nutzer wieder freigeschaltet. Selbst wenn Google+ langfristig wegen der Klarnamenspflicht verxingt und nur noch als Plattform für Business-Auftritte mit verbalem Schlips taugen sollte, so muss doch wohl gleiches Recht für alle gelten.
„Get a life“ ist an dieser Stelle auch nur ein Argument derjenigen, sie sich ein Leben außerhalb ihres eigenen Tellerrandes nicht vorstellen können. Es kommt ja regelmäßig vor, dass Leute es für nötig halten, meine selbstgewählte Lebensweise zu kritisieren. Meistens mit dem Tenor, das sei ja alles nicht echt in diesem Internet und könne das „reale Leben“ nicht ersetzen. Die meisten verstummen dann, wenn ich ihnen sage, dass schriftliche Kommunikation im Kontext meiner Gehörlosigkeit irgendwie ja doch ziemlich toll und hilfreich ist. Nur warum muss ich das überhaupt sagen? Warum mich eigentlich dafür rechtfertigen? Ich rufe auch niemandem „Get a life!“ zu, der seine Zeit gerne mit dem Fernseher verbringt, was ich persönlich als Zeitverschwendung empfinde.
Es ist wie mit der Beweislastumkehr: Jemand, der etwas verbietet, muss begründen, warum es verboten sein soll, und nicht umgekehrt. Die einzigen Argumente, die ich bisher für ein Pseudonymverbot gehört habe, sind „hilft gegen Trolle“ und „ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe“. In beiden Fällen ist den Leuten sehr einfach geholfen, indem sie Pseudonym-Identitäten einfach nicht in ihre Google-Plus-Kreise aufnehmen. Wie absurd diese Argumentation ist, sieht man daran, dass man mit ihr eine Klarnamenspflicht auf Datingseiten noch viel besser begründen könnte.
Am Ende kommt dann das Argument, ich wolle mich ja bloß auf Kosten des Themas profilieren. In dieser Hinsicht kann es sowieso niemandem Recht machen. Schreibe ich Google-kritisch, dann betreibe ich „Google-Bashing“. Schreibe ich Google-freundlich, bin ich ein Fanboy und habe gut Reden so als freigeschalteter Pseudonym-Nutzer, der etwas gleicher als die anderen ist. Manche Leute scheint es aus irgendwelchen Gründen zu stören, dass ich überhaupt schreibe und dann auch noch frecherweise über Dinge, die sie gar nicht interessieren oder in denen ich – der Gipfel der Perfidie – eine andere Meinung vertrete als sie selbst. Dabei ist niemand gezwungen, meinen Sülz zu lesen. Niemand muss mich in seine Circles packen. Niemand auf Twitter folgen. Wie übrigens alle anderen Pseudonym-Nutzer auch. So einfach ist das.