Schlagwort: Datenschutz


  • Face-App: Das Datenschutz-Problem sitzt tiefer

    Vergangene Woche zerfiel meine Twitter-Timeline in zwei Lager. Die einen posteten fröhlich Fotos von sich, die sie mit Face-App erstellt hatten – einer App, die Menschen 30 Jahre älter (oder jünger) aussehen lässt. Die anderen warnten vor dieser App: Es handele sich um ein unübersichtliches Datenschutzrisiko, schließlich würde der russische Anbieter nach und nach eine Datenbank mit Tausenden, vielleicht Millionen von Gesichtern auf seinen Servern ansammeln.

    Schnell entpuppte sich die Aufregung als Fehlalarm. Zwar fehlten durchaus die Datenschutzhinweise, die für eine legale Verbreitung der App in der EU gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nötig wären. Und der Zugriff auf sämtliche Fotos auf dem Smartphone der Nutzerinnen, den die App anfordert, wäre so nicht nötig, aber im Großen und Ganzen tut die App nichts anderes, als es zahllose ähnlich verspielte Foto-Apps auch machen.

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  • Google macht auf Datenschutz

    Wahrscheinlich gibt es kaum einen IT-Konzern, der so viel über seine Nutzerinnen und Nutzer weiß wie Google. Die Suchmaschine liefert Daten darüber, nach welchen Begriffen die Nutzer suchen. Die mobilen Betriebssysteme Android und Android Wear sowie der Online-Kartendienst Google Maps verraten, wo sie sich aufhalten, wann sie mit wem telefonieren und welche Kontakte sie haben. Der Browser Chrome kennt, welche Websites sie besuchen, und wenn sie einen anderen Browser verwenden, liefern das auf zahllosen Websites eingebundene Trackingtool Google Analytics und die Werbeplattform Adsense ähnliche Daten. You­tube verrät Hör- und Sehgewohnheiten. Der Streaming-Dienst Play Music sowie die E-Book-Plattform Play Books sind nur deshalb weniger problematisch, weil sie keinen nennenswerten Marktanteil haben. Und das sind längst nicht alle Dienste, die Google anbietet. Für Datenschützer ist Google ein Alptraum – weniger weil der Konzern all diese Daten missbrauchen würde, sondern weil sie sich mühelos zu einem unfassenden Profil fast jedes Internetnutzers verknüpfen lassen.

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  • Rant: Warum die DSGVO eine Datenschutz-Karikatur ist

    Mein Geduldsfaden riss, als Angela Merkel am Donnerstag ankündigte, nochmal über die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und ihre Umsetzung beraten zu wollen. Also demnächst nochmal alles revidieren? Nachdem wir monatelang versucht haben, die EU-Verordnung und ihre komplexen Wechselwirkungen mit anderen Gesetzen zu verstehen? Wir haben Mustertexte und Generatoren für Datenschutzerklärungen ausprobiert und viel Zeit damit verbracht, uns in die Dokumentationspflichten reinzufuchsen, in denen wir haarklein aufschreiben müssen, welches Datenhäppchen wir zu welchem Zweck auf welcher gesetzlichen Grundlage speichern. Und zwar auch, wenn wir die Daten gar nicht elektronisch speichern sondern im Aktenschrank. Falls wir Websites betreiben, haben wir Auftragsdatenverarbeitungsverträge mit unseren Webhostern abgeschlossen, obwohl die streng genommen gar keine Daten für uns verarbeiten, sondern wir das mit unserer Software auf den gemieteten Servern selber tun. Wenn wir Unternehmer sind, haben wir Datenschutzbeauftragte berufen oder angestellt, die das alles für uns auspuzzeln.

    Lasen wir selbst in der DSGVO nach, waren wir erleichtert und hörten erstmal auf zu lesen, weil wir mit weniger als 250 Mitarbeitern nicht unter die Verordnung fallen. Oder vielleicht doch, weil wir mit besonders „risikobehafteten“ Daten hantieren, wobei schwer festzustellen ist, welche Daten überhaupt darunter fallen. Sind wir keine Unternehmer,  können wir uns oft nicht darauf ausruhen, dass wir Privatleute sind, weil irgend ein Aspekt unseres Online-Lebens uns als gewerbliches Handeln ausgelegt werden könnte. Wir haben uns in zahllose Artikel, Blogposts und Webforen eingelesen und jedes-fucking-Mal haben wir den Cookie-Hinweis weggeklickt. Wenn wir dabei ohne Tracking-Blocker unterwegs gewesen sind, haben wir den Werbenetzwerken mehr Information über uns selbst preisgegeben, als die meisten von uns jemals schützen könnten. Wir haben heiße Debatten in den sozialen Medien geführt und dabei alles und sein Gegenteil über die DSGVO gelesen, und zwar durchaus auch von gestandenen Juristen und Datenschutzexperten.

    „Wir“, das sind Blogger, Arztpraxen, Fotografen, Onlinehändler, Influencer, Buchhaltungsbüros, Journalisten, Youtuber, kleine und große Vereine, Open-Source-Entwickler, Webdesigner, Coaches, Aktivisten, Berater oder Seelsorger – also genau diejenigen, die ganz offenbar immer wieder durch Datenmissbrauch auffallen und dringend mal strenger reguliert werden müssten.

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  • Mark Zuckerberg gefällt das

    Derzeit bekommen Facebook-Nutzer eine E-Mail, in der sie angefordert werden, die neuen Datenschutzrichtlinien durchzugehen und anzunehmen. Tatsächlich erklärt Facebook zwar höchst unvollständig, aber wesentlich anschaulicher als bisher, welche Daten ge­sammelt werden und was mit ihnen geschieht. Ablehnen kann man diese Richtlinien nicht, sondern nur auf »akzeptieren« klicken. Wer das nicht möchte, kann sich über einen grau ­gefärbten Link in winziger Schrift anzeigen lassen, welche andere Option es gibt: die gesammelten Daten herunterladen und den Account löschen.
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    Auf diesem Wege jubelt Facebook seinen deutschen Nutzerinnen und ­Nutzern gleich auch die Zustimmung zur Gesichtserkennung unter. Die wurde bereits vor Jahren eingeführt, war hierzulande bisher aber abgeschaltet. Wem das nicht geheuer ist, der oder die kann das in den Account-Einstellungen wieder abschalten.

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  • Was tun mit Facebook?

    Zerschlagen, verstaatlichen, wenigstens streng regulieren: Wenn das Gespräch auf Facebook kommt, kursieren allerlei Rezepte. Die sind leider oft wenig durchdacht. Die Forderung, Facebook zu verstaatlichen, klingt nur auf den ersten Blick gut. Zwar würde Facebook so einer demokratischen Kontrolle unterworfen, aber nur so lange, wie besagter Staat auch eine Demokratie ist. Ein deutsches oder europäisches Staats-Facebook hieße, dass der Staat zum Datensammler würde. Er hätte direkten Zugriff auf sämtliche Postings und Nutzungsdaten. Er wüsste genau, wer mit wem kommuniziert und befreundet ist. Darüber hinaus bekäme der Staat auch noch Kontrolle über die Algorithmen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Ein staatliches Soziales Netzwerk darf es aus den gleichen Gründen nicht geben, aus denen es auch keinen staatlichen Rundfunk gibt und Pressefreiheit herrscht.

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  • Datenschutz ist ein seltsames Konzept

    tl;dr: Datenschutz als Konzept ist „broken beyond repair“ (oder: Warum ich schon länger kein Pirat mehr bin)

    datenschutz

    Ich weiß, Postprivacy ist seit Snowden out. Trotzdem beobachte ich das Treiben der Datenschützer (längst nicht nur der Piratenpartei) mit Befremden. Je länger ich über Datenschutz im Allgemeinen und den deutschen Datenschutz im Speziellen nachdenke, desto weniger verstehe ich das Denken dahinter.

    Datenschutzgesetze sollen vor Diskriminierung schützen. Das tun sie leidlich, aber um den Preis, dass sie auch Verbrechen schützen. Privatsphäre bedeutet halt nicht nur, in Ruhe zu onanieren, sondern auch unsichtbare Gewalt in Familien. Diskriminierung mit Datenschutz zu bekämpfen wird absurd, sobald man darüber nachdenkt, wieviel Diskriminierung aufgrund nicht schützbarer Daten passiert. Wir können weder unser Geschlecht verheimlichen, noch unsere Hautfarbe. Allein dadurch, dass wir vor die Tür gehen, geben wir permanent Daten von uns Preis. Die jüdische Gemeinde verschickt ihr Magazin „Jüdisches Berlin“ jetzt in neutralen Umschlägen, aus Angst vor Übergriffen. Ist das wirklich die Antwort, die wir den Juden in Deutschland anbieten wollen, oder wollen wir lieber Antisemitismus bekämpfen? Datenschutz konsequent zu Ende gedacht, würde bedeuten, dass wir alle eine Burka tragen müssten – nicht nur die Frauen.

    Vollkommen desillusionierend finde ich, dass sehr viele (ich betone: viele, längst nicht alle!) Datenschützer aus der Nerd-Szene sich nur für sich selbst zu interessieren scheinen. Sexismus, Rassismus und diverse andere Formen der Diskriminierung sind für sie kein Thema. Wer laut „Datenschutz“ schreit, ohne gleichzeitig gegen Diskriminierung vorzugehen, will in Wirklichkeit nur seinen eigenen, privaten Datenschutz zur Verteidigung meist männlicher, weißer Privilegien. Sehr viele dieser Nerd-Datenschützer agieren sogar selbst diskriminierend, wenn sie trollend im Netz unterwegs sind, und Datenschutz bietet ihnen dafür einen Schutzraum.

    Und dann ist da noch der Kult um die „freiheitlich demokratische Grundordnung“, im Rahmen dessen Menschen schonmal das Grundgesetz heiraten. Als ob das Grundgesetz in Stein gemeißelt wäre. Es enthält in der heutigen Form eine menschenfeindliche Asylgesetzgebung. Das Grundgesetz verhindert weder einen Striptease im Jobcenter noch das Ehegattensplitting und andere Formen sexistischer Diskriminierung. Es verhindert kein Racial Profiling und keine Hausdurchsuchung wegen einer harmlosen Hanfpflanze auf dem Balkon. Die FDGO verhindert sehr vieles nicht, wogegen Datenschutz schützen soll. Ich bin kein Jurist und kann nicht beurteilen, wieviele Gesetze grundgesetzwidrig sind und an welchen Stellen das Grundgesetz selbst repariert werden müsste. Klar ist nur: Zum Götzen sollte man es nicht machen.

    Aus dem Grundgesetz abgeleitet ist die „informationelle Selbstbestimmung“. Auch dieser Gedanke ist längst ad absurdum geführt, es sei denn, wir schalten das Internet ab. Sie setzt voraus, dass wir überblicken und kontrollieren könnten, wer wann welche Daten über uns gewinnt. Das ist ein absolut hoffnungsloses Unterfangen. Michael Seemann hat dazu das Wort „Kontrollverlust“ geprägt und in seinem Buch „Das neue Spiel“ dargelegt, wie wir damit umgehen könnten. Im Rückblick muss ich aber sagen: So etwas wie „informationelle Selbstbestimmung“ definieren zu wollen, zeugt selbst für die kaum digitalisierten 80er Jahre von rührender Ahnungslosigkeit. Selbst analog erzeugen wir ständig Informationen über uns und haben wenig Einfluss darauf, was unsere Mitmenschen aus diesen Informationen machen – sprich, wie sie über uns denken oder ob sie uns sogar diskriminieren.

    Dementsprechend katastrophal ist es um den Datenschutz in Deutschland bestellt. Wer irgendwo ein Cookie setzt und dabei Opt-Out-Regeln nicht bis aufs i-Tüpfelchen befolgt und als Totem eine von niemandem je gelesene Datenschutzbelehrung unters Impressum tackert, riskiert Ärger mit Behörden und abmahnenden Konkurrenten, während althergebrachte Printverlage das Listenprivileg genießen und einen schwunghaften Handel mit den Daten ihrer Abonnenten treiben dürfen. Ein Handel übrigens, den weder Google noch Facebook betreiben, weil die Daten für ihr Geschäftsmodell viel zu wertvoll sind. Deutsches Datenschutzrecht verhindert weder, dass Jobcenter-Mitarbeiter Zahnbürsten in „Bedarfsgemeinschaften“ zählen (was einer Hausdurchsuchung gleichkommt) noch dass „Bild“ Menschen an die Öffentlichkeit zerrt. Wer will in einer Gesellschaft leben, in der Datenschutzgesetze dermaßen streng und umfangreich sind, dass keine Information mehr durchtröpfelt, aufgrund derer diskriminiert werden könnte? Leben in der Einzelzelle? Das Sammeln und Auswerten von Daten verhilft uns zu Erkenntnisgewinn. Dass jemand Daten nutzt, um anderen zu schaden, ist nicht die Schuld der Daten sondern dieses Jemand. Datenschutz ist die Anwendung eines Konzeptes aus dem vergangenen Jahrhundert auf eine Welt, zu der er nicht mehr passt und kann nicht die politische Stoßrichtung sein. Sondern die Bekämpfung von Diskriminierung. Nicht Daten schützen – Menschen schützen!

    P.S.: Und die NSA? Die NSA, GCHQ und natürlich auch der BND sind ein Problem für sich. Kein Datenschutzgesetz dieser Welt wird sie davon abhalten, das zu tun, was sie tun. Übrigens auch kein Antidiskriminierungsgesetz. Ich weiß nicht, was wir dagegen tun können, ich weiß nur: Die aktuellen Datenschutzdebatten der letzten Jahre helfen hier kein Stück weiter.

     


  • #Prism – ein paar Lebenslügen

    tl;dr: Prism deckt die Lebenslügen unserer Demokratie auf

    prism

    Prism hat mich ratlos gemacht. Ich habe Tage gebraucht, um zu einer Haltung dazu zu finden. Bitte nicht falsch verstehen: Prism, Tempora & Co. sind der größte Internet-Skandal seit Bestehen des Netzes, und wir müssen etwas dagegen tun. Aber was genau, das scheint unklar. Ich glaube, das liegt daran, dass Prism mehrere Lebenslügen aufdeckt. Die müssen wir aufdröseln, um Antworten zu finden

    Lebenslüge 1: Rechtsstaat Deutschland

    Die DDR und die Stasi standen jahrzehntelang als Kontrastfolie da zur leuchtenden westdeutschen Demokratie – dabei wurde auch von Anfang an in der ehemaligen BRD kräftig überwacht. Und daran hat sich seit 1989 nichts geändert. Überwachungsskandale gibt es immer wieder, Rudi Dutschke oder Anne Roth sind nur Beispiele unter vielen. Berufsverbote und Rasterfahndung (durch die meines Wissens genau ein RAF-Terrorist aufgedeckt wurde) scheinen Beispiele aus dem letzten Jahrhundert zu sein, aber es hat sich wenig geändert. Prism brauchen wir gar nicht, um uns zu empören, da reichen Fälle wie die illegale Funkzellenabfrage in Sachsen oder die verschiedenen Versuche, einen Staatstrojaner an den Start zu bringen oder oder oder.

    Lebenslüge 2: Freund Amerika

    Die USA sind eine befreundete Nation. Das hindert sie aber nicht daran, den Internet-Traffic von Freund und Feind im ganz großen Stil zu überwachen – bis hin zu Botschaften, Institutionen und Regierungen. Dieser feindliche Akt eines Freundes ist irritierend, aber viel irritierender ist, dass die deutsche Regierung seltsam ruhig bleibt. Das liegt vor allem daran, dass sie selbst von der Überwachung profitiert, ohne sich die Finger schmutzig zu machen – die NSA arbeitet eng mit dem BND zusammen. Der „feindliche Akt“ ist also eigentlich keiner, sondern eher ein stilles Agreement unter Verbündeten. Dabei ist aus dem Musterland der Demokratie längst auch ein Musterland der Überwachung geworden. Prism mag zwar auf das Ausland gerichtet sein, aber die Homeland-Security arbeitet gezielt mit Denunziation und der komplette Briefverkehrs in den USA wird überwacht.

    Lebenslüge 3: Demokratie

    Merkel schweigt, Kanzleramtschef Pofalla, der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist, ebenfalls, und Innenminister Friedrich zeigt sich gewohnt dummdreist. Leider ist es nicht damit getan, im Herbst einfach die Regierung abzuwählen, schließlich wird in der SPD ähnlich herumgeeiert. Spitzenpolitiker aller im Bundestag vertretenen Parteien (außer der Linkspartei, auf deren Vergangenheit wir hier aber nicht näher eingehen müssen) tun überrascht. Dabei ist die derzeitige Lage einfach nichts neues. Bereits 1989 wussten wir, wie intensiv die NSA uns überwacht. Bereits seit Adenauer hatten die Besatzungsmächte in Deutschland weitgehend freie Hand. Überwachung ist ein kontinuierliches Problem der letzten Jahrzehnte. Es ist also nicht so, dass wir gerade eine „böse Regierung“ haben. Man kann natürlich im Herbst die Piratenpartei wählen, damit es in Fragen Überwachung wenigstens Opposition im Bundestag gibt. Das zu bohrende Brett ist aber – eben auch wegen der USA – sehr, sehr dick und kann nicht mal eben weggewählt werden. Heute ist Snowden eine heiße KartoffelGauck nennt ihn Verräter und niemand will etwas gewusst haben – das fühlt sich für viele an wie damals im Osten. So etwas wie „gute und böse Staaten“ gibt es nicht, alle Regierungen vertreten mehr oder weniger skrupellos ihre Interessen.

    Lebenslüge 4: Im Internet gibt es Privatsphäre

    Der internet-affine Mensch wusste schon immer: E-Mails sind nicht geschützt, ihr Versand entspricht dem einer offenen Postkarte, die von jedem mitgelesen werden kann, der sich in den Versandweg einklinkt. Es galt schon immer: Wer Vertrauliches mitzuteilen hat, muss ein sicheres Medium wählen, also sich im Park treffen oder halt seine E-Mail verschlüsseln. Verschlüsselung als technische Lösung anzusehen, die ein soziales Problem nicht beheben könne, ist zu kurz gedacht: Wer von uns lässt denn permanent seine Haustür offen stehen, weil Einbruch und Diebstahl schließlich vor allem ein soziales Problem sind? Die Struktur des Internet ist eine offene. Private Räume kann man dort schaffen, aber man muss sie entsprechend sichern. Und darf offenbar nicht darauf vertrauen, dass Anbieter wie Facebook das zuverlässig tun. Das heißt nicht, dass man Facebook & Co nicht mehr benutzen kann. Das bedeutet nur, dass man Cloud-Dienste und Social-Media-Netzwerke immer in dem Bewusstsein benutzen muss, sich hier nicht mehr in seiner Privatsphäre zu bewegen. Der Kontrollverlust über die eigenen Daten ist nicht aufzuhalten – informationelle Selbstbestimmung verkommt angesichts des Internet vom Grundrecht zur Lebenslüge. Wie damals im Dorf. Da konnten wir auch nicht verhindern, dass unsere Nachbarn wissen, was wir so treiben. Tatsächlich ist hier der Ansatz der Postprivacy sogar sehr charmant: Wenn immer mehr (auch private oder gar intime) Daten frei verfügbar sind, verlieren diejenigen ihre Macht, die Datensilos bauen und Datenmonopole inne haben.

    Lebenslüge 5: Datenschutz

    Die deutschen Datenschutzgesetze sind broken beyond repair. Wir kämpfen mit Abmahungen, stellen Gutachten gegen Gutachten, wenn es um die Nutzung von Liquid Feedback geht, und hauen uns die Köppe ein, ob das Opt-In-Häkchen bei Newsletter-Anmeldungen richtig gesetzt ist oder ob ein Anbieter für seine Dienstleistungen ein permantes Cookie setzen darf. Filesharer bekommen regelmäßig Abmahnungen, aber es ist in Deutschland fast unmöglich, gegen Trolle oder Stalker vorzugehen, die dir gelegentlich das Leben zur Hölle machen können. Datenschutz funktioniert aber nicht denen gegenüber, die wirklich Macht über uns haben, die uns wirklich wehtun können. Das ist vor allem der Staat. Das deutsche Datenschutzrecht muss von Grund auf erneuert werden – weg vom Schutz von Daten hin zum Schutz von Menschen. Wir brauchen eine Stärkung der Grundrechte, bessere Gesetze gegen Diskriminerung, besseren Minderheitenschutz.

    Hatten die Aluhüte die ganze Zeit recht?

    Eigentlich ist das, was NSA mitschneidet, sowieso öffentlich einsehbarer Datenverkehr, der im Prinzip von jedem zumindest partitiell abgegriffen werden kann. Wenn es die USA nicht macht, macht es halt ein „Schurkenstaat“. Irgendwer findet sich immer. Die Ungeheuerlichkeit bei PRISM liegt von allem in er Geheimhaltung und Unkontrollierbarkeit der Datensammelei und der Tatsache, dass ein im Zweifel skrupelloser Machtapparat diese Daten monopolartig verwendet. Prism zeigt nicht, dass das Internet kaputt ist – anhand von Prism zeigt das Internet einmal mehr, wie kaputt unsere Gesellschaft und Demokratie ist und welche Lebenslügen wir mit uns herumtragen.


  • Ein Manifest zur Daten(schutz)ethik

    Michael Vogel und Benjamin Siggel haben ein Manifest zur „Daten(schutz)ethik“ als pragmatischen Kompromiss zwischen Aluhüten und Spackeria skizziert, das ich für ein sehr brauchbares Gegenmodell zu Michael Seemanns „radikalem Recht des Anderen“ halte, (das vereinfacht besagt, dass alle Informationen über dich automatisch Michael Seemann gehören und es unethisch sei, sie ihm vorzuenthalten. ;)

    Das Manifest berücksichtigt, dass zwar nicht mehr aus der Welt zu bekommen ist, was einmal publiziert wurde, fordert aber ansonsten einen Ausgleich zwischen Sender und Empfänger in der Mikroöffentlichkeit. Unter anderem heißt es:

    Menschen sind unterschiedlich. Was du ohne mit der Wimper zu zucken veröffentlichen würdest, kann für einen anderen ein intimes Detail sein und umgekehrt. Du musst daher keine Daten von Personen schützen, die dies nicht wünschen – andererseits aber auf Wunsch persönliche Informationen auch dann vertraulich behandeln, wenn du es selbst nicht nachvollziehen kannst. Respektiere das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Individuums und setze nicht deine persönliche Sicht der Dinge an seine Stelle, denn auch deine Privatsphäre hängt von der Rücksichtnahme Anderer ab.

    Der komplette Text ist ein gutes Stück umfangreicher und sehr pragmatisch und verständlich formuliert. Mir gefällt, dass er der Datenschutzkritik der Spackeria, Wikileaks, Facebook-Realität, Google Streetview und der Postprivacy durchaus Platz einräumt, aber trotzdem die informationelle Selbstbestimmung des einzelnen betont. Der Filtersouveränität des Empfängers wird die Filtersouveränität des Senders gleichberechtigt gegenüber gestellt. Zwischen beiden ist ein Ausgleich vorzunehmen.

    Am besten ganz schnell ins Parteiprogramm damit, bevor sich Spackeria und Aluhüte in der Piratenpartei noch weiter zerfleischen. Bitte weiter verbreiten!


  • Postprivacy und Gruppendruck: Ein Experiment

    Die „Bild“ öffentlich gut finden ist in gewissen Kreisen nicht besonders gerne gesehen. Als ich einen frauenfeindlichen und sexistischen und last not least dummen Bild-Kommentar nochmal auf Bild.de nachlesen wollte, konnte ich diesen selbst zwar nicht finden, habe dafür aber eine andere Entdeckung gemacht: Ein Facebook-Kasten zeigt mir, wer in meinem Freundeskreis alles mal bei Bild „gefällt mir“ geklickt hat – diese Zeitung also „mag“ oder neudeutsch liked.

    Schnell entwickelte sich auf Facebook und Twitter eine kleine Diskussion: Entfolgen und entfreunden oder nicht? Ich habe niemanden meiner drei Bild-mögenden „Friends“ entfreundet – es würde bedeuten, eine Person anhand eines einzigen und vermutlich irrelevant Kriteriums abzulehnen – schließlich kenne ich nicht die Bewegründe, die jemand hat, Bild zu „liken“. Ein Journalist, Blogger und Socialmediat könnte zum Beispiel einfach nur die Facebook-Aktivitäten des Boulevard-Blattes verfolgen wollen.

    Michael Seeman, der meinte, langsam verstünde ich die Filtersouveränität,  und scheint mehr oder weniger ernsthaft der Meinung zu sein, ein relevantes Filterkriterium gefunden zu haben, anhand dessen er den Kreis seiner Informationsquellen sortieren könne. Sieht man in Social Media tatsächlich vor allem die Funktion der Individuen als Nachrichtentransporteure, mag diese technokratische wie asoziale Sicht angemessen sein. Soll das „Social Web“ aber nicht nur technisch sondern auch menschlich sozial sein, haben wir hier ein sehr gutes Beispiel dafür, anhand welcher Kriterien man nicht filtern sollte, weil man gar nicht in der Lage ist, die Filterkriterien korrekt zu interpretieren.

    Außerdem: Filtern wir individuell anhand von Meinungen, gefährden wir auf subtile Art die Meinungsfreiheit überall dort, wo unpopuläre Minderheitsmeinungen vertreten werden. Wir blenden Menschen aus unserer Do-It-Yourself-Realtität aus. Genauso wie ich Homophobe, religiöse Fundamentalisten und Nazis filtern kann, können diese mich filtern. Alle schmoren in ihrem eigenen Realitätssaft. Wenn etwas in der Postprivacy-Gesellschaft nicht mehr stattfindet, dann ist es echter Dialog über Grenzen hinweg.

    Halb belustigend, halb erschreckend dann der Wettbewerb, der auf Twitter stattfand: Etliche Follower überboten sich darin, wer am wenigstens Bild-likende Friends auf Facebook hat. Einige haben wohl auch die eine oder andere Person aufgrund ihres öffentlichen Statements entfreundet. Das ganze ist glücklicherweise nicht eskaliert, bietet aber einen Vorgeschmack auf die Hexenjagden, die uns Postprivacy bescheren wird, und dem Gruppendruck, dem wir uns zu unterwerfen haben, wenn wir nicht auch einfach weggefiltert werden wollen. Jeder seinem nächsten ein kleiner Big Brother.

    Ich halte die Friede-Freude-Eierkuchen-Utopie, die im Zuge von Postprivacy postuliert wird, gelinde gesagt für naiv. Die Menschen werden sich so schnell nicht ändern, bloß weil es sinnvoll sein könnte, künftig zu ignorieren, was ihnen aneinander nicht passt. Ja, die Digialisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch kulturelle Regeln und Gesetze finden könnten – also auch bestimmte Querys als Verbrechen zu definieren und zu verbieten, sobald diese dem abgefragten Individuum Gewalt antun. Die ewige Existenz von Mord und Diebstahl ist kein Grund, die entsprechenden Gesetztesverbote abzuschaffen – genauso ist das Aufkommen von Postprivacy kein Argument, auf Datenschutz zu verzichten, sondern im Gegenteil Anlass, überhaupt angemessene Datenschutzgesetze zu schaffen und durchzusetzen.

    Es wird eine politische Frage sein, hier zwischen den Wünschen derjenigen, die Daten abfragen wollen und derjenigen, die davon betroffen sind, auszugleichen. Eine Frage der Datengerechtigkeit. Ich möchte gerne der Postprivacy eine New Privacy gegenüberstellen.


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