Schlagwort: Cochlear Implantat

  • Eine Fernbedienung für mein Gehör

    tl;dr: Die Fernbedienung des Nukleus N5 von Cochlear ist ein schlechter Witz

    fernbedienung

    Zu den angenehmen Dingen des Cyborg-Daseins gehört eine handliche Fernbedienung für mein Gehör. Damit kann ich Programme umschalten. Also jetzt nicht ARD, ZDF, RTL und SAT.1 sondern Einstellung des Implantates wechseln, wie man das auch von vielen digitalen Hörgeräten kennt. Ich hatte mich 2011 für Cochlear statt für Med-El entschieden, weil ich den Eindruck hatte, mein Gehör breiter manipulieren zu können. (Heute würde ich Med-El wählen, zu den Gründen aber ein Andermal mehr.) Der Nutzen der vier Programme liegt darin, mein Gehör an verschiedene Situationen anzupassen. Wie bei einem Equalizer könnte ich z.B. ein Programm mit extra viel oder extra wenig Bass verwenden. Verschiedene Parameter können eingestellt werden, unter anderem Kompression. Vereinfacht gesagt: Laute Geräusche werden automatisch in Sekundenbruchteil auf ein angenehmes Maß heruntergepegelt.

    Bei mir sieht das so aus, dass auf Programm 1 das vom Audiologen ermittelte Profil mit leichter Kompression geschaltet ist. Dieses Programm sollte die Standard-Einstellung für den Alltag sein, ich benutze es jedoch selten. Programm 2 ist aus Programm 1 abgeleitet, hat keinerlei Kompression und ist insgesamt etwas lauter. Das nehme ich in ruhiger Umgebung, bei Meetings, zum Telefonieren, im Büro usw. Programm 3 hat eine starke Kompression mit Fokussierung und hilft gewaltig, auch in lauter Umgebung meinen Gesprächspartner zuhören zu können. Das funktioniert unterschiedlich gut. In mittellauter Kneipenatmosphäre, die nicht laut genug ist, damit Leute ihre Stimme heben, habe ich gelegentlich Schwierigkeiten, die sich aber fast immer mit einem einfachen „Wie bitte?“ beheben lassen. In einem Club mit sehr lauter Musik, wo man sich gegenseitig ins Ohr brüllt, kann es gut sein, dass ich mehr verstehe als du. Programm 4 ist die „reine Lehre“: Alles völlig ungefiltert, keinerlei Kompression, voller Dynamik-Umfang. Dieses Programm nutze ich, um Filme anzusehen und Musik zu hören. Es klingt am angenehmsten und oft behalte ich es auch in anderen Alltagssituationen bei, allerdings verstehe ich Sprache damit mess- und merkbar schlechter.

    Um diese Programm umzuschalten, benötige ich die Fernbedienung, mit der ich auch lauter/leiser machen kann, die Mikrofonempfindlichkeit einstellen sowie die FM-Spule (auch bekannt als Telefonspule) aktivieren. Also könnte ich theoretisch. In der Praxis ist diese Fernbedienung leider vollkommen unpraktikabel. Das fängt schon damit an, dass ich sie immer dabei haben muss und ein weiterer Gegenstand in meiner Tasche herumfliegt. Leider ist die Fernbedienung auch noch sehr unzuverlässig: Häufig wird nur ein Ohr umgeschaltet, sodass ich mehrfach drücken muss.

    Das wäre nicht so schlimm, wenn Fernbedinung und Sprachprozessor nicht so laaaangsam wären. Wenn ich eine Taste drücke, schaltet sich das CI für etwa eine Sekunde ab. Immer wenn ich umschalte, bekomme ich als akustisches Feedback ein „Pling!“ in mein Gehör. „Pling! Pling! Pling!“ heißt dann, dass ich gerade in Programm 3 gewechselt bin. Das Umschalten kann also Gespräche empfindlich unterbrechen, ich verpasse Teile des Gesagten und bei Vorträgen, Filmen usw. ist ein kleines Stück unwiederholbar verloren.

    Einfacher ist es, die Programm direkt am Ohr umzuschalten. Dazu muss ich die Leiser-Taste am Sprachprozessor hinter meinem Ohr ca. eine Sekunde lang drücken, damit das Gerät ein Programm weiterschaltet. Möchte ich von Programm 4 in Programm 3 wechseln, ist dieser Vorgang dreimal zu wiederholen. Das klingt zwar nervig, ist aber immer noch praktischer, als mit der Fernbedienung zu hantieren, zumal ich meine Ohren nacheinander umschalten kann, sodass ich immer noch mit dem jeweils anderen Ohr höre, was gerade passiert. Wer schonmal mit mir in der Kneipe saß, kennt auch diese „Sekunde, ich muss mal umschalten, damit ich dir besser zuhören kann“-Momente.

    Das olle Stück Plastik mit einem Display, das aussieht, als hätte man es aus einem antiken Siemens-Mobiltelefon ausgebaut, verstaubt also bei mir in einer Schublade. Mein einziger richtiger Einsatzzweck war, sie neulich bei einem Vortrag ins Publikum zu geben mit dem Hinweis „Knöppe drücken erlaubt“ und „Wer es schafft, mein Gehör auszuschalten, kriegt einen Snickers.“ Das geht nämlich aus Gründen damit nicht. Aber vielleicht findet sich ja auf der SIGINT jemand, der das hinkriegt. Das Angebot steht.

    Hausaufgaben an Cochlear: Bitte baut eine bessere Fernbedienung, die sicher funktioniert und kriegt diese elende Umschalte-Latenz weg! Oder nein, baut lieber eine eine Smartphone-App. Das Telefon habe ich sowieso immer dabei. Das ginge über Bluetooth oder Funk-Adapter für den Dock-Connector/USB-Anschluss. Eine solche Remote-App zu bauen, wäre ein wunderschönes Projekt für die Cyborg Society. Dafür müsste ich aber den technischen Aufbau und die Funkstandards der Fernbedienung erst einmal kennen. Vielleicht findet sich ja ein Hacker, der etwas Lust auf Tüftlei hat und die per Remote Engineering herausbekommt.

    Last not least sehe ich nur bedingt ein, warum ich nur zwischen 4 Programm wechseln kann. Ich würde den „Equalizer“ gerne selber mal anpassen und mit einem wenig genutzten Programm meines CI experimentieren. Derlei „Self-Tuning“ geht natürlich auch nicht. Die nötigen Adapter zum PC und die Windows-Software ist für Normalsterbliche nicht erhältlich. Da sich das Gehör monatelang an das CI gewöhnen muss, ist es auch keine gute Idee, wenn frisch Implantierte mit den Einstellungen herumspielen. Ich will das aber können.

  • Wling!

    Tag 5 seitdem ich das CI bekommen habe. Wenn ich nicht vorher gewusst hätte, was mich erwartet, und ich nicht auf allerlei Erfahrungsberichte hätte zurückgreifen können, würde ich vermutlich gerade eine miese Zeit durchleben. Da ich aber einordnen kann, was da an komischen Klängen in meinem rechten Ohr passiert, ist das alles vor allem interessant und aufregend.

    Das Empfinden, Töne zu spüren statt zu hören, ist völlig verschwunden, aber nach wie vor werden sämtliche Geräusche von diesem „Wling“ begleitet. Was sich dahinter versteckt, kann ich oft nur vermuten, selbst wenn ich auf der linken Seite das Hörgerät trage und somit einen Vergleich habe. Sprache kann ich über das CI weiterhin kaum hören – also nicht nur nicht verstehen: Meistens ist da nichts aus anonymem, ununterscheidbarem „Wling“. Allerdings kam ich gestern in die Situation, dass ich jemanden, der auf einer Veranstaltung recht laut mit mir sprach, mit CI und Hörgerät gut verstehen konnte, obwohl er rechts von mir stand und ich deutlich gemerkt habe, dass ich ihn auch über das CI gehört habe. Was ich fast von Anfang an und von Tag zu Tag besser heraushören kann: Konsonanten und Zischlaute. Das funktioniert langsam immer besser. Ungefähr seit gestern kann ich meine eigene Stimme hören. Sie klingt hinter dem „Wlingeling“ hervor, wenn ich nicht allzu leise mit mir selber rede.

    Auch das Wling selber verändert sich. Mittlerweile klingt der Ton wie eine pulsierende Plasmagukel. Man verzeihe mir meine synästhetischen Metaphern. Der Ton schwillt nicht nur im Wechsel der Umgebungsgeräusche, sondern springt manchmal auch kurz nach oben und unten. Ich nehme an, mein Gehirn macht das – es handelt sich ja eigentlich um die Grundfrequenz von 800 1200 Hz. Geräusche, die nicht hinter einem „Wling“ verschwinden, klingen wie Carol Anns Hilferufe in Poltergeist (ungefähr ab Minute 2). Man darf das aber nicht auf Stimmen beziehen, sondern auf Geräusche.

    [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Uc7LNG1MmI8&feature=player_detailpage#t=140s[/youtube]

    Besonders fasziniert mich, wie das CI mein Gehör erweitert: nämlich bei den Hochtönen. Mit 37 kann man die ja schon sehr viel schlechter hören als ein Kind – aber das CI gibt sie alle wieder zurück. Einerseits führt das dazu, dass viele Geräusche von einem unangenehmen Zischeln und Klingeln begleitet werden, andererseits dazu, dass ich mit dem CI Geräusche höre, die sonst für mich zu hoch waren, zum Beispiel eine Triangel. Beckenschläge sind in Musik viel lauter als ich dachte, Vogelgezwitscher höre ich mit CI schon von weitem, auch wenn in meinem linken Ohr via Hörgerät gar nichts ankommt, und bin erstaunt, wie laut ein Schlüsselbund klimpern kann.

    Allerdings scheint meine Hörfähigkeit stark zu schwanken. Mal höre ich denen eigenen Tritt auf dem Bürgersteig, dann wieder nicht. Ich habe das Gefühl, mit dem Hörenlernen immer wieder zwei Schritte voran und dann einen zurück zu machen. Trotzdem entwickelt sich alles erstaunlich schnell. Besonders am ersten Tag nach der Anpassung geschah das im Stundentakt, wie einige auf Twitter mitbekommen haben. Konnte ich Musik zunächst nicht unterscheiden, höre ich mittlerweile mit dem CI Schlagzeug und E-Gitarre heraus, auch wenn es alles andere als gut klingt. Andere Instrumente und Sänger fehlen noch – das alles macht Wling.

    Der Twitterer mcMuck fühlte sich inspiriert, aus meiner Beschreibung einen Song zu machen: Wlingpflanzen. Sein 800-Hertz-Ton klingt zwar gar nicht wie mein „Wling“, aber ich finde die Idee trotzdem cool. Überhaupt freue ich mich gewaltig über das viele Interesse und die Anteilnahme, die ihr mir auf allen Kanälen entgegenbringt. Danke dafür.

  • Implantat (Foto)

    ioen Text über das Implantat in meinem Kopf schrieb ich recht bald nach der OP. Ich merke nachträglich am Stil, dass ich da noch ziemlich detsch war. Hatte für die kurze Reihung von Hauptsätzen auch ziemlich lange gebraucht. Den wirklich fiesen und lauten Post-OP-Tinnitus haben wir zum Glück innerhalb von 3 Tagen mit etwas Kortison wieder weggekriegt, sodass der Testbild-Ton in meinem rechten Ohr jetzt nicht mehr lauter oder häufiger da ist, als ich es seit Jahrzehnten kenne. Erträglich also.

    Erst bei der Entlassung war ich ich noch schnell in der CI-Sprechstunde und ließ mir nochmal das Demo-Implantat zeigen, um es zu fotografieren. Ich hätte vielleicht etwas anderes als ein weißes Blatt Papier als Unterlage nehmen sollen, aber egal. Hier ist das Foto – auf meinem Monitor ungefährer in „Lebensgröße“:

    Das obere Ende ist etwa so groß wie ein Zweieurostück und sitzt jetzt im Schädelknochen eingebettet hinter meinem Ohr. Wenn der Verband nicht wäre, könnte man es unter der Haut erfühlen. Das untere, aufgerollte Ende steckt in der Cochlea. Dort befinden sich die winzigen Elektroden, die meine Hörnervenenden künftig in verschiedenen Frequenzbereichen reizen werden. Das kürzere Metallende, das da noch zu sehen ist, sitzt übrigens irgendwo anders unter meiner Kopfhaut. Es dient dem Potenzialausgleich, ist also so etwas ähnliches wie ein Erdungskabel.

    Wie schon gesagt: Den Sprachprozessor bekomme ich erst später, wenn alles gut verheilt ist – nämlich am 24. Mai. Den trage ich außen wie ein Hörgerät, wobei er allerdings nicht per Ohrpassstück haftet, sondern magnetisch. Er versorgt das Implantat induktiv mit Energie und Signalen. Das ist übrigens vergleichbar mit den merkwürdigen Geräuschen, die ein sendendes Mobiltelefon manchmal in eingeschalteten HiFi-Anlagen produziert.

    Fassen wir zusammen: Das Implantat ist magnetisch und in der Lage, induktive Signale aufzunehmen. Dinge, die ich also ausprobieren muss, sobald der Verband weg ist: Einen Küchenmagneten oder den Touchstone meines alten Palm Pre hinters Ohr halten sowie meinen Kopf dicht an einen Lautsprecher oder ähnlichen Sender bringen. Bin gespannt, wie sich das dann anfühlt bzw. klingt.

  • Kognitive Einschränkungen

    Wer auf Twitter mitliest, hat es schon mitbekommen: Ein Brief meiner Krankenkasse hatte mir gestern völlig unerwartet die Laune verdorben. Statt das Cochlea-Implantat einfach zu genehmigen (wie das Usus ist), wollen die eine Prüfung seitens des MDK und Unterlagen von Pontius und Pilatus. Ich hatte schon mit monatelanger Verzögerung gerechnet, dabei stand der OP-Termin längst fest. Vorläufiges Happy End: Die Charité hält einfach cool am Zeitplan fest, da in meinem Fall die Indikation sonnenklar sei und die Kasse am Ende ja doch zahlen müsse.

    Aber darum geht es nicht. Es geht darum, was die BKK Mobil Oil für Unterlagen haben möchte: unter anderem eine Prüfung auf „kognitive Einschränkungen“. Auf Deutsch: Sie wollen wissen, ob ich geistig behindert bin. Schlimm ist dabei nicht, dass mir minderer IQ, Debilität oder ähnliches unterstellt wird. Schlimm ist, dass sie überhaupt danach fragen. Was wäre denn, wenn ich „kognitiv eingeschränkt“ wäre? Hätte ich damit das Recht auf ein Cochlea-Implantat verwirkt? Das Recht auf Chancengleichheit und Nicht-Diskriminierung? Die Chance auf Hören und gesellschaftliche Teilhabe?

    Könnte man eine solche Haltung seitens der Krankenkasse nicht schon für justiziabel halten? Ich finde es jedenfalls unwahrscheinlich, dass die BKK Mobil Oil fragt, weil sie kognitiv eingeschränkten Menschen die Luxusvariante mit roter Schleife drum spendiert nebst persönlichem Glückwunschreiben des Krankenkassendirektors.

  • Voruntersuchung

    Heute habe ich den ganzen Tag im zur Charité gehörigen Virchow-Klinikum verbracht. Es geht um ein elektrisches Ohr und darum, ob ich zum Cyborg werde. Unabhängig davon, ob ich das werden will und sollte, mussten wir klären, ob ich es werden kann. Mittels Hirnstammaudiometrie wurde nachgesehen, ob akustische Reize in meinem Gehirn elektrische Signale auslösen. Wenig überraschend: Das tun sie.

    Spannender war der umgekehrte Test: Ob man wohl mit elektrischen Reizen akustische Empfindungen in meinem Gehirn produzieren kann? Dazu wird die eine Elektrode ins Ohr gesteckt und die andere auf meine Stirn geklebt. Zunächst ist weder was zu spüren, noch zu hören. Fröhlich folternd wurde die Spannung (bei einer Stromstärke im Mikroampere-Bereich) immer weiter erhöht, bis wirklich ein Ton kam. Ein seltsames, elektronisches, glockenartiges „Bling“, das sich in Windows gut als Systemsound für Fehlklicks machen würde.

    Ab einer bestimmten Lautstärke fühlte sich das ganze an, wie Batterien lecken, nur mit der Stirn. Der Rest war Routine: Magnetresonanztomographie (Bevor man mich in die Röhre schob, gab man mir eine Gummipumpe in der Hand, ohne mir zu erklären, was ich damit soll) und Computertomographie (Wie sollen normale Cojones in diesen seltsamen Strahlenschutzbehälter passen, der dann unbequem schwer in der Hose hängt?).

    Am 1. April besprechen wir die Ergebnisse.