Schlagwort: CI

  • Upgrade für mein elektrisches Ohr

    Wer Cochlea-Implantate hat, kann grundsätzlich alle paar Jahre neue Prozessoren dafür beantragen. Bei meinen beiden Implantationen 2011 hatte ich das Nucleus N5 (CP810) von Cochlear bekommen. Mittlerweile bietet Hersteller den Nachfolger des Nachfolgers, also das N7 (CP1000), das mich unter anderem wegen der Möglichkeit, sich mit einem iPhone zu koppeln, interessierte. Um den Sprachprozessor zu wechseln, ist kein chirurgischer Eingriff nötig. Der auszutauschende Prozessor wird wie ein Hörgerät äußerlich getragen und versorgt das eigentliche Implantat, das nicht ausgetauscht wird, über eine Sendespule mit Signalen. Also machte ich letzten Herbst einen Termin mit meiner Klinik und durfte das neue Modell ein paar Wochen testen.

    Nach der Testphase überprüften wir mein Sprachverständnis, wobei sich insbesondere das Hören in Störschall ein gutes Stück besserte. Mit den Messergebnissen stellte die Klinik einen Antrag auf Kostenübernahme. In der Wartezeit durfte ich auch noch das Vorgängermodell Nukleus N6 (CP910) testen. An das N7 lässt sich nämlich kein analoges Audiokabel mehr anschließen, weshalb ich unsicher war, ob ich wirklich direkt zum N7 oder doch erstmal nur zum N6 wechseln wollte, mit dem das noch geht. Denn das Implantat per Kabel mit einer analogen Klangquelle verbinden zu können, war mir schon sehr wichtig. Letztlich entschied ich mich dann aber doch für das N7.

    Heute morgen kam das Paket per UPS zu mir nach Hause. Ich war etwas überrascht, dass ich gar nicht mehr in die Klinik musste, sondern die fertig programmierten Prozessoren direkt erhielt. Ein wenig war das wie ein Überraschungsei, denn in den Schachteln waren lauter Einzelteile, die ich erst einmal zusammenbauen musste. Das dauerte allerdings nur wenige Minuten, sodass ich an der Tagung, die heute auf dem Programm stand, gleich schon mit dem neuen Gehör teilnehmen konnte.

    Das Ergebnis war großartig. Der Klang ist wesentlich plastischer, ich konnte den Vorträgen mühelos folgen und mich ebenso mühelos in den Vortragspausen verständingen, ohne ein einziges mal nachfragen zu müssen. An sich funktionierte das auch schon mit dem alten Prozessor ziemlich gut, allerdings nur bei sehr leisen und sehr lauten Störgeräuschen. Sprache aus mittellautem Stimmengewirr etwa in einem Restaurant heraushören war mit dem N5 eher schwierig und geht bei mir mit dem N7 erheblich besser.

    Der Scan-Mode passt sich sehr gut an die Umgebung an, ohne ständig auf auffällig hörbare Weise die Lautstärke wegsacken zu lassen, kommt mir allerdings manchmal etwas zu leise vor. Besonders krass wirkt beim N7 der in allen Programmen zuschaltbare Forward-Focus, der radikal alle Geräusche wegschneidet, die von hinten kommen. Im Straßenverkehr womöglich gefährlich, auf Tagungen, in Kneipen und Restaurants ausgeprochen angenehm.

    Der Nachteil des CP1000 ist wie gesagt, dass sich keine Audioquellen per Kabel mehr anschließen lassen. Dafür kann ich es drahtlos mit dem iPhone koppeln. Wann immer ich einen Anruf erhalte oder einen Podcast starte, höre ich einen kurzen Signalton und bekomme den Klang des Telefons für außenstehende unhörbar in meinen Hörnerv gestreamt. Die Qualität ist dabei allerdings minimal schlechter als bei einer analogen Kabelverbindung. Gelegentlich kommt es zu klanglichen Artefakten. Da ist also noch Luft nach oben, aber unterm Strich ist es dermaßen komfortabel, dass einem das Hantieren mit dem Audiokabel innerhalb kürzester Zeit als unglaublich fummelig und unpraktisch erscheint.

    Ich kann mich also ohne weitere Hilfsmittel nur mit Smartphones oder Tablets verbinden, nicht jedoch mit PCs und analogen Klangquellen. Hierzu verwende ich das Minimic von Cochlear. Dessen Klangqualität lässt allerdings zu wünschen übrig. Gelegentlich rauscht es oder es kommt zu Störungen, die ähnlich klingen wie eingehende SMS in schlecht abgeschirmten Boxen. Außerdem ist der Frequenzbereich nochmal stark eingeschränkt, wie sich zum Beispiel auf Youtube leicht rausfinden lässt. Aber für den Schreibtisch reicht es. Eigentlich ist das schlecht, weil ich gelegentlich halt wirklich ein Audiokabel in guter Qualität benötige. Ich habe deshalb ein wenig damit gehadert, ob das CP1000 nicht ein Fortschritt mit eingebautem Rückschritt ist.

    Allerdings war ich in der Testphase auch im Funkhaus und habe dort ganz normale Kopfhörer benutzt. Die verwende ich eigentlich nicht so gerne, weil sie nicht bequem sitzen, wenn sie statt der Ohrmuschel das Cochlea-Implantat beschallen sollen, dessen Mikrofone oberhalb des Ohres sitzen. Allerdings erwies sich die Klangqualität als so gut, dass ich dem Audiokabel nicht nachtrauern sondern mir große, weiche, gut klingende Kopfhörer besorgen werde, sobald ich sie für eine Audioproduktion benötige.

    Kopfhörer brauche ich auch aus einem anderen Grund. Spätestens mit dem drahtlosen Streaming vom Telefon aufs Cochlea-Implantat ist für meine Mitmenschen völlig unsichtbar, dass ich gerade Musik oder einen Podcast höre. Das führt immer wieder zu Verwirrung, wenn sie mich ansprechen – etwa um nach dem Weg zu fragen – und ich natürlich nichts verstehe, weil ich gerade was anderes höre. Ich spiele deshalb schon lange mit dem Gedanken, mir möglichst große, weithin sichtbare „Laber mich nicht an“-Kopfhörer zu beschaffen. Attrappen sozusagen.

  • Eine Fernbedienung für mein Gehör

    tl;dr: Die Fernbedienung des Nukleus N5 von Cochlear ist ein schlechter Witz

    fernbedienung

    Zu den angenehmen Dingen des Cyborg-Daseins gehört eine handliche Fernbedienung für mein Gehör. Damit kann ich Programme umschalten. Also jetzt nicht ARD, ZDF, RTL und SAT.1 sondern Einstellung des Implantates wechseln, wie man das auch von vielen digitalen Hörgeräten kennt. Ich hatte mich 2011 für Cochlear statt für Med-El entschieden, weil ich den Eindruck hatte, mein Gehör breiter manipulieren zu können. (Heute würde ich Med-El wählen, zu den Gründen aber ein Andermal mehr.) Der Nutzen der vier Programme liegt darin, mein Gehör an verschiedene Situationen anzupassen. Wie bei einem Equalizer könnte ich z.B. ein Programm mit extra viel oder extra wenig Bass verwenden. Verschiedene Parameter können eingestellt werden, unter anderem Kompression. Vereinfacht gesagt: Laute Geräusche werden automatisch in Sekundenbruchteil auf ein angenehmes Maß heruntergepegelt.

    Bei mir sieht das so aus, dass auf Programm 1 das vom Audiologen ermittelte Profil mit leichter Kompression geschaltet ist. Dieses Programm sollte die Standard-Einstellung für den Alltag sein, ich benutze es jedoch selten. Programm 2 ist aus Programm 1 abgeleitet, hat keinerlei Kompression und ist insgesamt etwas lauter. Das nehme ich in ruhiger Umgebung, bei Meetings, zum Telefonieren, im Büro usw. Programm 3 hat eine starke Kompression mit Fokussierung und hilft gewaltig, auch in lauter Umgebung meinen Gesprächspartner zuhören zu können. Das funktioniert unterschiedlich gut. In mittellauter Kneipenatmosphäre, die nicht laut genug ist, damit Leute ihre Stimme heben, habe ich gelegentlich Schwierigkeiten, die sich aber fast immer mit einem einfachen „Wie bitte?“ beheben lassen. In einem Club mit sehr lauter Musik, wo man sich gegenseitig ins Ohr brüllt, kann es gut sein, dass ich mehr verstehe als du. Programm 4 ist die „reine Lehre“: Alles völlig ungefiltert, keinerlei Kompression, voller Dynamik-Umfang. Dieses Programm nutze ich, um Filme anzusehen und Musik zu hören. Es klingt am angenehmsten und oft behalte ich es auch in anderen Alltagssituationen bei, allerdings verstehe ich Sprache damit mess- und merkbar schlechter.

    Um diese Programm umzuschalten, benötige ich die Fernbedienung, mit der ich auch lauter/leiser machen kann, die Mikrofonempfindlichkeit einstellen sowie die FM-Spule (auch bekannt als Telefonspule) aktivieren. Also könnte ich theoretisch. In der Praxis ist diese Fernbedienung leider vollkommen unpraktikabel. Das fängt schon damit an, dass ich sie immer dabei haben muss und ein weiterer Gegenstand in meiner Tasche herumfliegt. Leider ist die Fernbedienung auch noch sehr unzuverlässig: Häufig wird nur ein Ohr umgeschaltet, sodass ich mehrfach drücken muss.

    Das wäre nicht so schlimm, wenn Fernbedinung und Sprachprozessor nicht so laaaangsam wären. Wenn ich eine Taste drücke, schaltet sich das CI für etwa eine Sekunde ab. Immer wenn ich umschalte, bekomme ich als akustisches Feedback ein „Pling!“ in mein Gehör. „Pling! Pling! Pling!“ heißt dann, dass ich gerade in Programm 3 gewechselt bin. Das Umschalten kann also Gespräche empfindlich unterbrechen, ich verpasse Teile des Gesagten und bei Vorträgen, Filmen usw. ist ein kleines Stück unwiederholbar verloren.

    Einfacher ist es, die Programm direkt am Ohr umzuschalten. Dazu muss ich die Leiser-Taste am Sprachprozessor hinter meinem Ohr ca. eine Sekunde lang drücken, damit das Gerät ein Programm weiterschaltet. Möchte ich von Programm 4 in Programm 3 wechseln, ist dieser Vorgang dreimal zu wiederholen. Das klingt zwar nervig, ist aber immer noch praktischer, als mit der Fernbedienung zu hantieren, zumal ich meine Ohren nacheinander umschalten kann, sodass ich immer noch mit dem jeweils anderen Ohr höre, was gerade passiert. Wer schonmal mit mir in der Kneipe saß, kennt auch diese „Sekunde, ich muss mal umschalten, damit ich dir besser zuhören kann“-Momente.

    Das olle Stück Plastik mit einem Display, das aussieht, als hätte man es aus einem antiken Siemens-Mobiltelefon ausgebaut, verstaubt also bei mir in einer Schublade. Mein einziger richtiger Einsatzzweck war, sie neulich bei einem Vortrag ins Publikum zu geben mit dem Hinweis „Knöppe drücken erlaubt“ und „Wer es schafft, mein Gehör auszuschalten, kriegt einen Snickers.“ Das geht nämlich aus Gründen damit nicht. Aber vielleicht findet sich ja auf der SIGINT jemand, der das hinkriegt. Das Angebot steht.

    Hausaufgaben an Cochlear: Bitte baut eine bessere Fernbedienung, die sicher funktioniert und kriegt diese elende Umschalte-Latenz weg! Oder nein, baut lieber eine eine Smartphone-App. Das Telefon habe ich sowieso immer dabei. Das ginge über Bluetooth oder Funk-Adapter für den Dock-Connector/USB-Anschluss. Eine solche Remote-App zu bauen, wäre ein wunderschönes Projekt für die Cyborg Society. Dafür müsste ich aber den technischen Aufbau und die Funkstandards der Fernbedienung erst einmal kennen. Vielleicht findet sich ja ein Hacker, der etwas Lust auf Tüftlei hat und die per Remote Engineering herausbekommt.

    Last not least sehe ich nur bedingt ein, warum ich nur zwischen 4 Programm wechseln kann. Ich würde den „Equalizer“ gerne selber mal anpassen und mit einem wenig genutzten Programm meines CI experimentieren. Derlei „Self-Tuning“ geht natürlich auch nicht. Die nötigen Adapter zum PC und die Windows-Software ist für Normalsterbliche nicht erhältlich. Da sich das Gehör monatelang an das CI gewöhnen muss, ist es auch keine gute Idee, wenn frisch Implantierte mit den Einstellungen herumspielen. Ich will das aber können.

  • Es werde Musik!

    Zwei Wochen nachdem auch auf der linken Seite das Cochlea-Implantat angeschaltet wurde, ist meine Stimmung leicht mau. Alles ist zu leise, auf der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung in Pankow verstehe ich weniger als erwartet und allgemein hört sich alles elektrisch an. Dafür aber endlich Richtungshören. Das linke Ohr reagiert anders als das rechte auf das CI, nämlich mit einem heftigen Tinnitus, der aber verschwindet, sobald ich das CI aufsetze und einschalte. Wahrscheinlich muss sich der Hörnerv aber noch an die elektrische Reizung gewöhnen. Davon abgesehen entwickelt sich das Hören auf der linken Seite extrem schnell. Es ist immer noch ziemlich vom „Wling“ unterlegt und Menschen klingen, als hätten sie Helium inhaliert, die Entwicklung ist aber viel schneller und schon jetzt verstehe ich mit beiden CIs viel besser als zuvor mit Hörgeräten.

    Beim Anpassungstermin hatten wir dann nochmal beide Seiten vorgenommen und erneut komplett durchgespielt: Wann höre ich einen Ton, wann ist er laut, sind Ton 1 und Ton 2 gleich laut usw. Da floss mit ein, dass ich sagte, alles sei insgesamt zu leise. Am Schluss machte mein Audiologe noch ein Hinweis: Der Prozessor ist so eingestellt, dass laute Geräusche automatisch runtergepegelt werden. In dem Moment fiel bei mir der Groschen. Warum ich Musik oder Filme viel zu laut mache. Warum ich beim Heavy Metal Bäcker nicht mehr richtig bestellen kann. Warum die heißgeliebte Morgenstimmung von Grieg eine indifferente Pampe ist und Metallicas Creeping Death wie Scooter klingt. Ich dachte, die Dynamik sei futsch, weil das CI nur bis zu 10 Elektroden im Ohr gleichzeitig befeuert, und versuchte mich schon gedanklich an ein Leben zwischen Depeche Mode und Sebastien Tellier zu gewöhnen. Ganz falsch.

    Ich insistierte also, er möge das bitte jetzt sofort machen und mir auf das sonst nicht benötigte Programm 2 legen. Der Sprachprozessor des CI hat nämlich 4 Programme, die per Fernbedienung oder etwas fummelig über die mehrfach belegten Tasten am CI umgeschaltet werden können. Bei mir sind das jetzt 1: „Alltag mit Runterpegeln“, 2: jetzt „Alltag ohne Runterpegeln“, 3: „Fokus in lauter Umgebung“ (eine Art Richtmikrofon und mein akustisches Killerfeature in Kneipen und lauter Umgebung) und 4: „Musik“ (lässt alles möglichst ungefiltert durch, klingt aber furchtbar und hat noch immer sehr viel „Wling“).

    Wieder zu Hause habe ich mir zuerst die Tagesschau im Web ohne Untertitel angesehen (alles bestens verstanden) dann eine ganze Weile Musik gehört und wurde dabei immer euphorischer. Ja, der Sound ist noch künstlich, elektrisch und Sänger klingen übers linke Ohr leicht albern, aber plötzlich war alles da und ich konnte die Musik (zumindest rechts) präzise und kristallklar wahrnehmen. Die Sonne hebt sich bei Grieg wieder langsam und majestätisch über den Horizont. Der Lautsprecher will nach den ersten Takten Akustikgitarre in Saxons „Crusader“ wieder aus der Box fallen. Und die zweite Hälfte von Metallicas „One“ ist wieder Stakkato statt Matschepampe. Und das wichtigste: Wenn man aufdreht wird es auch laut.

    Ganz allgemein kann ich nun auch über Lautsprecher viel besser hören, ohne das CI an einen Kopfhörerausgang anzuschließen, was sonst eigentlich nötig war, wenn ich mir ein Video ohne Untertitel ansehen wollte. Auf Twitter schrieb ich später: „Da ändert man eine winzige Detaileinstellung im #CI und es ändert sich alles. Geil. Noch ein wenig testen, dann gibts ein Update im Blog.“ und später „(Höre Grieg und überlege, ob mein Audiologe ein Gott oder ein Idiot ist.)“ und meinte damit, dass ich diese spezielle Einstellung doch schon viel eher hätte haben können, aber über die neuerliche Verbesserung viel zu glücklich bin, um mich zu beklagen.

    Was habe ich seither getan: Viel Musik aller Art gehört und auch genossen; mich in einem Bus und in der Tram sowie an einer lauten Straße unterhalten, teilweise ohne die Person anzusehen, sowie zu viert in der S-Bahn dasselbe; Jan-Uwe Fitz beim Vorlesen aus „Entschuldigen Sie meine Störung“ zugehört und endlich auch seine kleinen Späßchen zwischendurch verstanden; ein Kneipengespräch im Übereck (ruhig); FC St. Pauli gegen Hansa Rostock im Oberbaum-Eck gucken und dabei durchaus ein wenig mit den Leuten reden (alles andere als ruhig); verstehen, was jemand im Nebenzimmer laut zu mir sagt. Letzteres war wohl ungefähr das erste mal seit 1988 oder so.

    Was ich mit der neuen Einstellung noch nicht gemacht habe: Beim Heavy Metal Bäcker frühstücken, telefonieren, in einen Club oder auf ein Konzert gehen und eine BVV-Sitzung besuchen. Aber morgen beginnt ja eine neue Woche.

  • Ohr 2 angeknipst: endlich wieder stereo

    Heute wurde nach vier Wochen Stille mein linkes Ohr angeknipst. Auch dort also jetzt ein Cochlea-Implantat. Bevor es soweit war, haben wir mein rechtes Ohr getestet, auf dem ich seit einem halben Jahr ein CI trage. Eher enttäuschend: Beim Freiburger Sprachverständnistest erziele ich immer noch 65% wie vor vier Monaten. Es ist, als hätte ich seitdem keine Fortschritte gemacht, was nicht sein kann, da ich mittlerweile durchaus telefoniere. Eher ist es so, als ob die beiden letzten Anpassungen Verschlimmbesserungen waren. Wir haben das rechte Ohr dann auf den Stand von Juli programmiert und subjektiv hatte ich sofort das Gefühl, besser zu hören. To be continued.

    Außerordentlich ermunternd hingegen das Ergebnis des Oldenburger Sprachverständnis-Test. Dabei muss man sinnlose Sätze in verschiedenen Lautstärken und teilweise unter Störschall nachsprechen. Gemessen wird, um wieviel etwas lauter sein muss, dass ich es verstehe. Auf einer Skala bis 100 dB erreiche ich sehr gute 2,8 dB. (Normalhörende erzielen Ergebnisse von -10 dB). Das ist ein für Cochlea-Implantate wirklich gutes Ergebnis.

    Am Ende haben wir dann das linke Ohr „eingeschaltet“. Frappierend: Ich war sofort in der Lage, Sprache zu verstehen, wofür ich beim ersten Implantat noch Wochen gebraucht hatte. Allerdings ist auch das „Wling„-Geräusch wieder da und alles klingt seltsam. Das Telefon blubbert eher als dass es klingelt. Da heißt es jetzt wieder und weiterhin hin: Eingewöhnen, hören lernen. Im Frühjahr bis Sommer 2012 werde ich wohl das erzielbare Optimum erreichen.

  • Cochlea-Implantat: Die Operation

    Ich habe schon so viel übers Cochlea-Implantat geschrieben, aber wie verläuft eigentlich die Operation? Vorab sind einige Voruntersuchungen nötig. Unter anderem werden ein CT und ein MRT gemacht. Verschiedene Hörtests werden durchgeführt – es muss klar sein, ob ein Implantat zum Hörschaden des Patienten passt und es keine Kontraindikation wie zum Beispiel eine Verknöcherung des Innenohres gibt.

    Auch wenn man beim CI den Sprachprozessor wie ein Hörgerät hinter dem Ohr trägt: Das Kernstück ist ein Elektrodenbündel, das meinen Hörnerv elektrisch stimuliert. Ein Empfänger, der die Signale des Sprachprozessors drahtlos entgegen nimmt, sitzt hinter meinem Ohr unter der Haut. Eine Leitung wird von dort zum Innenohr gelegt. Dazu wird das Ohr von hinten an der Nahtstelle der Ohrmuschel geöffnet, sodass die Operation minimal invasiv durchgeführt werden kann.

    Um einen Kanal für die Leitung zu schaffen, muss in den Schädelknochen gefräst werden. Man kann sich das vorstellen, wie Kabel und Steckdosen oder Lichtschalter unter Putz zu verlegen. Das Gehirn selber ist hierbei nicht betroffen, trotzdem kann es bei einer Operation am Schädel zu einem Trauma kommen. Insgesamt ist die Operation eher unkritisch und belastet den Organismus wenig. Man wird 2 Tage danach schon wieder entlassen, ist danach aber zur Erholung noch eine Weile krank geschrieben.

    Die Operation selber ist eine ziemliche Fummelei, die etwa 3 Stunden dauert, schließlich muss nicht nur der Kanal gefräst werden, sondern auch das Implantat passgenau in die die spiralförmige, erbsengroße Cochlea eingeführt werden. Das „Millimeterarbeit“ nennen wäre schon viel zu grob. Noch während der Operation wird die Funktionsfähigkeit überprüft, indem Signale über das Implantat abgegeben werden und gemessen wird, ob die korrespondierenden Hirnströme auftreten.

    Die Operation wird unter Vollnarkose durchgeführt. Übrigens sollte man keine Angst vor Horrorgeschichten à la „Coma“ haben: Die Mortalität liegt laut Wikipedia bei 5 von 100.000 Narkosen. Regelmäßiges Autofahren ist gefährlicher. Nach der Operation trägt man einige Tage einen Druckverband und später einen einfachen Verband in einer Kopfbinde. Am Tag danach wird eine Röntgenaufnahme gemacht, um sicher zu gehen, dass das Implantat auch korrekt sitzt. Nach etwa 2 Wochen werden die Fäden gezogen, nach vier Wochen ist alles verheilt und der Sprachprozessor kann angepasst werden. Während dieser Zeit ist es nicht möglich, ein Hörgerät zu tragen.

    Ob und wie stark die Operation das meist noch vorhandene Restgehör mindert, ist unterschiedlich. Bei mir wurde es noch nicht gemessen. Wie es dann weitergeht, ist sehr unterschiedlich. Manche brauchen Tage, um Geräusche auseinander zu halten, andere verstehen von der ersten Minute an Sprache. Auf jeden Fall folgt ein mehrmonatiger Prozess, in dem sich das Gehirn nach und nach an das neue, elektrische Hören anpasst, welches mit der Zeit immer natürlicher klingt.

    Funfact am Rande (ich dachte erst, die Ärzte veräppeln mich): Es ist für die Dauer der Heilung verboten, sich die Nase zu putzen. Man sollte also einen Schnupfen vermeiden. Wer die Nase voll hat, muss hochziehen. Niesen kann in den ersten 1-2 Wochen schonmal ziemlich weh tun, ist aber ungefährlich. Von gelegentlich sehr lautem Tinnitus abgesehen, hatte ich in den ersten Wochen eine unangenehme Nebenwirkung: heftige Migräne-Attacken, zu denen ich sonst nie neige. Ich hoffe, dass das nach der zweiten OP nicht wieder passiert.

    All das war die drastische Verbesserung meines kaum noch vorhandenen Gehörs mehr als wert. Das einzige, was mich ärgert ist, dass ich mich nicht schon viel eher habe operieren lassen. Die folgenden Videos zeigen die Operation zusammgenfasst. Achtung, das ist nichts für schwache Nerven oder Mägen und könnte Angst machen!

  • Der Trend zum Zweitohr

    Lange habe ich hier nichts mehr zum Cochlea-Implantat geschrieben: Der Alltag hat mich zwischenzeitlich völlig aufgesogen. Ich machte Erfahrungen wie andere vor mir – ich bin immer noch schwerhörig und fliege manchmal vom Karussell, wie „Not quite like Beethoven“ das nennt. Der Unterschied zu früher: Wo kommunikativ gar nichts mehr ging, tut es heute meist ein einfaches Wiebitte. Ich hatte viele Gespräche auf Partys und in lauter Umgebung, die so früher nicht möglich gewesen wären. Ich habe getanzt, geflirtet und Wahlkampf gemacht, schaue YouTube-Filme ohne Untertitel (auch englische) und jetzt werde ich langsam das „Projekt Telefon“ in Angriff nehmen. Das CI hat mir sehr viel Leben zurückgegeben, das ich so schon gar nicht mehr (oder noch nicht) kannte.

    Oft hatte ich Glücksgefühle, manchmal war ich down, wenn es das Hören dann doch nicht perfekt war; aber rauschhaft muss man das deswegen nicht nennen. Ich höre ja ganz objektiv um Längen besser als früher. Immer neue Leute sagen mir, wie viel besser man heute mit mir reden könne, und wer mich gut kennt, sagt mir dazu oft noch, dass meine Stimme heute lebendiger und akzentuierter klinge.

    Gelegentlich gibt es Rückschläge, wenn ich müde bin oder einen schlechten Tag habe. Bei der letzten Anpassung trat eine ziemliche Verschlechterung ein – ich verstand plötzlich kaum noch etwas – , die sich aber leicht wieder rückgängig machen ließ.Da merke ich dann, dass mein Gehirn immer noch eine gegenüber dem natürlichen Gehör erhöhte Dekodierleistung erbringen muss. Zu viele gleichzeitige Klangeindrücke vermatschen immer noch gerne mal im berüchtigten „Wling„-Geräusch und Musik macht nur sehr bedingt Spaß. Sprachverständnis und auch Musikgenuss gehen besser, wenn ich nicht über Lautsprecher höre, sondern das CI direkt per Klinke an die Klangquelle anschließe.

    Spannend ist, was seither mit meinem linken Ohr passiert. Alles außer Musikhören ist nur noch Krach, der meistens mehr stört als hilft, besonders wenn man sich mit Menschen verständigen will. Das Sprachverständnis per Hörgerät ist massiv zurückgegangen auf einen kläglichen Rest – mein Gehirn akzeptiert den Akustik-Schrott der Maximal-Verstärkung nicht mehr. Gleichzeitig komme ich immer wieder in Situationen, wo ich etwas verstehe, wenn es von rechts kommt (CI-Seite), aber nicht oder nur schwer, wenn es von links kommt.

    Der Mensch hat zwei Ohren – ich schreibe diesen Blogpost schon im Krankenhaus. Morgen Vormittag wird operiert. Dann geht erstmal alles wieder von vorne los.

  • Die eigene Stimme zum ersten mal hören

    Hörend geboren weiß ich ja auch nicht wie das ist, wenn jemand von Geburt an gehörlos das erste mal die eigene Stimme wahrnimmt.

    [via Jens Best]

     

  • R2D2 auf Drogen und alle Frauen klingen wie Wenke Myhre

    Den Höreindruck, den ich jetzt nach der dritten Anpassung und fast drei Wochen mit dem Cochlea-Implantat habe, kann man nur psychedelisch nennen. Während im linken Ohr weiterhin das altvertraute Hörgerät mit tollem Sound und mieser Dynamik werkelt, klingt es rechts immer unelektrischer aber auch immer alberner. Mein Hören ändert sich fast von Tag zu Tag. Das „Wling“ klingt jetzt wie ein Piepen und Pfeifen, ändert die Tonhöhe und und schmiegt sich an alle Geräusche an, welche ansonsten immer klarer hervortreten. Schwer zu beschreiben, wie das klingt. Ein wenig wie R2D2 auf Drogen oder die Witzpfeife im folgenden Monty-Pythonsketch:

    Ich nenne es mal in Ermangelung besserer Worte „Wling 2.0“. Man kann sich vorstellen, wie nervig das ist, wenn jedes gottverdammte Geräusch von diesem Wling 2.0 begleitet wird, davon geprägt und verzerrt wird. Im Moment sind alle Stimmen quäkig. Alle Frauenstimmen klingen wie Wenke Myhre. Hören mit CI ist also also sehr „interessant“ auf ne Art, macht aber auch wahnsinnig. Wenigstens ist der Hall schon sehr viel weniger geworden und Stimmen klingen auch nicht mehr 20 Meter weit entfernt. Ich fand es nämlich sehr irritierend, mir auf diese Art selber beim Rülpsen zuzuhören.

    Das Wling 2.0 überlagert Sprache und Geräusche – es ist aber nicht Sprache und Geräusche. Tatsächlich höre ich Sprache und Geräusche dahinter. Und was ich „dahinter“ höre, klingt durchaus natürlich und in keiner Weise „roboterhaft“ wie andere CI-Träger das schildern. Was aber evtl auch daran liegen könnte, dass ich das CI mit 22 statt 12 Elektroden implantiert bekommen habe und mittlerweile bis zu 12 davon gleichzeitig feuern – Standard-Einstellung ist eigentlich acht.

    Musik ist weiterhin kein Spaß, aber es wird besser. Seit drei oder vier Tagen bin ich in der Lage, über das CI die Glocke aus Hells Bells von AC/DC zu hören. Gitarren und Schlagzeug waren vorher schon da, der Bass und Brian Johnson erschließen sich weiterhin nur über das Hörgerät im anderen Ohr. Was ich mit dem CI schon sehr gut höre, sind sehr hohe Töne und jede Form von Schlagzeug und Percussion. So war ich neulich im „Cake“ – Hörgerät aus, nur CI an! – in der Lage, zu „Kiss“ von Prince abzutanzen. Ich hoffe allerdings und darf auch erwarten, dass ich meinen Musikgeschmack künftig nicht auf derlei Falsett-Gefiepse beschränken muss.

    Subjektiv habe ich das Gefühl, schlechter zu hören, objektiv sieht die Lage ganz offenbar anders aus: Der Audiologe spricht „Eindundzwanzig“ vor und ich verstehe nur mit CI und spreche nach, ohne ihn anzusehen. Er sagt, er sei beeindruckt, wie schnell ich Fortschritte mache. Enge Freunde behaupten schon seit Tagen, ich verstünde besser als früher. Ich dementiere einstweilen, schon um keine zu großen Erwartungen zu wecken – aber vorgestern ist es tatsächlich passiert: Ich lese etwas auf meinem iPhone, während mich Rachel von der Seite anspricht und ich antworte ohne aufzublicken – und völlig ohne zu merken, was ich da eigentlich tue. Ich habe sie verstanden, ohne sie anzusehen. Das konnte ich das letzte mal so ungefähr mit 14.

    Als wir ihren Geburtstag in der (allerdings relativ ruhigen und leeren) Margarethe F. weiterfeierten, konnte ich mich tatsächlich erheblich besser als gedacht mit den Anwesenden unterhalten. Ich habe deutlich gemerkt, wie ich mehr zugehört und weniger selber geredet habe. Was mein Gehirn da macht, ist immer noch weit entfernt von normalem Hören und Verstehen, wie ich es aus meiner Kindheit kenne, und klingt auch lange nicht so „gut“ wie ein Hörgerät  – aber es funktioniert. Ganz langsam immer besser.

  • Der geheimnisvolle Koffer

    Ich hatte schon vorige Woche auf Twitter den Koffer erwähnt, den man zu seinem Cochlear-Implantat bekommt und der groß genug ist für 2-3 Gaming-Laptops oder einen mittleren Londonaufenthalt. Er schrie einfach nach einem Unboxing-Video. Leider leuchtet er nicht, wenn man ihn öffnet, dafür kommt Lucy im Film vor.

  • Wling!

    Tag 5 seitdem ich das CI bekommen habe. Wenn ich nicht vorher gewusst hätte, was mich erwartet, und ich nicht auf allerlei Erfahrungsberichte hätte zurückgreifen können, würde ich vermutlich gerade eine miese Zeit durchleben. Da ich aber einordnen kann, was da an komischen Klängen in meinem rechten Ohr passiert, ist das alles vor allem interessant und aufregend.

    Das Empfinden, Töne zu spüren statt zu hören, ist völlig verschwunden, aber nach wie vor werden sämtliche Geräusche von diesem „Wling“ begleitet. Was sich dahinter versteckt, kann ich oft nur vermuten, selbst wenn ich auf der linken Seite das Hörgerät trage und somit einen Vergleich habe. Sprache kann ich über das CI weiterhin kaum hören – also nicht nur nicht verstehen: Meistens ist da nichts aus anonymem, ununterscheidbarem „Wling“. Allerdings kam ich gestern in die Situation, dass ich jemanden, der auf einer Veranstaltung recht laut mit mir sprach, mit CI und Hörgerät gut verstehen konnte, obwohl er rechts von mir stand und ich deutlich gemerkt habe, dass ich ihn auch über das CI gehört habe. Was ich fast von Anfang an und von Tag zu Tag besser heraushören kann: Konsonanten und Zischlaute. Das funktioniert langsam immer besser. Ungefähr seit gestern kann ich meine eigene Stimme hören. Sie klingt hinter dem „Wlingeling“ hervor, wenn ich nicht allzu leise mit mir selber rede.

    Auch das Wling selber verändert sich. Mittlerweile klingt der Ton wie eine pulsierende Plasmagukel. Man verzeihe mir meine synästhetischen Metaphern. Der Ton schwillt nicht nur im Wechsel der Umgebungsgeräusche, sondern springt manchmal auch kurz nach oben und unten. Ich nehme an, mein Gehirn macht das – es handelt sich ja eigentlich um die Grundfrequenz von 800 1200 Hz. Geräusche, die nicht hinter einem „Wling“ verschwinden, klingen wie Carol Anns Hilferufe in Poltergeist (ungefähr ab Minute 2). Man darf das aber nicht auf Stimmen beziehen, sondern auf Geräusche.

    [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Uc7LNG1MmI8&feature=player_detailpage#t=140s[/youtube]

    Besonders fasziniert mich, wie das CI mein Gehör erweitert: nämlich bei den Hochtönen. Mit 37 kann man die ja schon sehr viel schlechter hören als ein Kind – aber das CI gibt sie alle wieder zurück. Einerseits führt das dazu, dass viele Geräusche von einem unangenehmen Zischeln und Klingeln begleitet werden, andererseits dazu, dass ich mit dem CI Geräusche höre, die sonst für mich zu hoch waren, zum Beispiel eine Triangel. Beckenschläge sind in Musik viel lauter als ich dachte, Vogelgezwitscher höre ich mit CI schon von weitem, auch wenn in meinem linken Ohr via Hörgerät gar nichts ankommt, und bin erstaunt, wie laut ein Schlüsselbund klimpern kann.

    Allerdings scheint meine Hörfähigkeit stark zu schwanken. Mal höre ich denen eigenen Tritt auf dem Bürgersteig, dann wieder nicht. Ich habe das Gefühl, mit dem Hörenlernen immer wieder zwei Schritte voran und dann einen zurück zu machen. Trotzdem entwickelt sich alles erstaunlich schnell. Besonders am ersten Tag nach der Anpassung geschah das im Stundentakt, wie einige auf Twitter mitbekommen haben. Konnte ich Musik zunächst nicht unterscheiden, höre ich mittlerweile mit dem CI Schlagzeug und E-Gitarre heraus, auch wenn es alles andere als gut klingt. Andere Instrumente und Sänger fehlen noch – das alles macht Wling.

    Der Twitterer mcMuck fühlte sich inspiriert, aus meiner Beschreibung einen Song zu machen: Wlingpflanzen. Sein 800-Hertz-Ton klingt zwar gar nicht wie mein „Wling“, aber ich finde die Idee trotzdem cool. Überhaupt freue ich mich gewaltig über das viele Interesse und die Anteilnahme, die ihr mir auf allen Kanälen entgegenbringt. Danke dafür.