Die Zukunft des Körpers

Gemeinsamt mit der TU Dresden und dem Cyborgs e.V. hat das Hygienemuseum Dresden eine Ringvorlesung mit dem Titel „Reale Utopien“ konzipiert. Ich habe die Gelegenheit genutzt, größere Zusammenhänge herzustellen: Was ist eigentlich ein Cyborg und was ist kybernetisches Denken? Wo stehen wir heute mit Human Enhancement? Unter welchen Umständen ist die Cyborg-Idee totalitär oder emanzipatorisch? Und was hat es eigentlich mit Posthumanismus und Transhumanismus auf sich? Mein Vortrag trägt den Titel „Die Zukunft des Körpers“, aber nachträglich würde ich ihn gerne ändern: „Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will.“

Behinderung? Enthinderung! Thementag bei Deutschlandfunk Kultur am 19.10.

„Behinderung? Enthinderung! – Zwischen Inklusion und Avantgarde“ ist der Titel des Thementages am Donnerstag, 19. Oktober auf Deutschlandfunk Kultur, an dem ich gerade redaktionell mitarbeite. Oder mit den Worten der Kollegen:

Menschen sind nicht behindert, sie werden dazu gemacht – durch praktische Hindernisse und durch den gesellschaftlichen Umgang mit einem vermeintlichen Nischenthema. Inklusion, Barrierefreiheit, Bundesteilhabegesetz: Behinderung wird technisch administriert, das persönliche Gespräch und der Austausch über wichtige kulturelle und gesellschaftliche Fragen ist noch immer schwierig.

Irgendwann ab 14.00 Uhr werde ich im „Kompressor“ kurzzeitig auch vor dem Mikrofon sitzen. Es wird um die kulturellen Differenzen innerhalb der Gehörlosen-Community gehen, die unterschiedlichen Perspektiven spätertaubter und gehörlos geborener Menschen und den ewigen Streit für oder gegen das Cochlea-Implantat.

Prothetik und Inklusion sind kein Gegensatz

Vor zwei Tagen ergab sich eine heftige Debatte auf Twitter. Ich schrieb, die Zukunft gehöre der Prothetik, weshalb man mir unterstellte, ich sei gegen Inklusion. Beim Cochlea-Implantat denkt zum Beispiel Julia „@EinAugenschmaus“ Probst an Reparatur, die sie gefährlich findet, weil die Gesellschaft gleichgeschaltet werde.

Ich habe als Teenager mein Gehör fast vollständig verloren. Ja, ich war „kaputt“ und bin „repariert“ worden. Und dafür bin ich dankbar. 20 Jahre lang war ich stark schwerhörig bzw. nach heutiger Definition gehörlos mit Restgehör. Die Implantante, die ich heute trage, machen mich annähernd normalhörend.

„Behindert ist man nicht, behindert wird man.“, heißt der Kampfspruch der Behindertenverbände, und am Cochlea-Implantat zeigt sich, wie falsch er ist, denn die Gesellschaft hat mich nicht am Hören gehindert, sondern mir ein Gehör geschenkt. Die Gesellschaft hat per Krankenkasse mehr als 50.000 € dafür ausgegeben, dass mein Leben barrierefreier ist, indem eine Barriere an mir selbst überbrückt wurde. Die Operation war ein Akt der Emanzipation.

Das heißt nicht, dass das Cochlea-Implantat ein Allheilmittel ist. So erfolgreich ist es nur in ganz bestimmten Fällen. Der Hörnerv muss intakt sein. Das Hörzentrum im Gehirn sollte sich in der Kindheit normal ausgeprägt haben, sonst wird ein Gehörloser zwar hören, jedoch kaum verstehen. Und auch wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Reparatur schief gehen.

Das ist aber kein Grund, Angst vor der „Reparatur“ zu haben, denn der Gehörlose kann nichts verlieren, sondern nur gewinnen. Ihm wird nichts genommen, sondern etwas geschenkt. Selbstverständlich bleibt die Entscheidung beim einzelnen Betroffenen. Dass die Gesellschaft Druck auf den einzelnen ausübt, zu funktionieren, ist kein Argument gegen Prothetik, sondern ein Argument gegen den Druck. Prothetik und Inklusion sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen: Prothetik beseitigt Barrieren.

Je nach Behinderung funktioniert das mehr oder weniger gut: Rollstuhlfahrer hatten schon immer andere Bedürfnisse als Blinde, die schon immer andere Bedürfnisse als Gehörlose hatten. Es wird immer Menschen geben, die nicht „repariert“ werden können.  Der Übergang zwischen zwischen „normal“ und „andersartig“ ist fließend. Es gibt keine Alternative zur Toleranz gegenüber Andersartigen – wir sind schließlich alle einzigartig. Es gibt keine Alternative zur Inklusion.

Angst vor der Prothetik hilft uns allerdings nicht weiter. Robotik und Mikroelektronik werden sich dramatisch weiterentwickeln. Wir werden aufhören, Menschen nur zu „reparieren“, wir werden anfangen, sie zu erweitern. Die Menschen werden das selbst wollen und dabei ganz individuelle Bedürfnisse haben. Ich habe einige Nerds kennengelernt, die ein wenig neidisch auf mein Cyborg-Dasein sind, und sich am liebsten heute eine Gehirn-Internet-Schnittstelle implantieren würden, wenn es so etwas schon gebe. Man kann darin die Gefahr sehen, dass diejenigen abgehängt werden, die das nicht mitmachen wollen oder können. Das ist aber kein Argument.

Der Mensch formt die Welt und sich selbst seit Tausenden von Jahren. Wer heute kein Internet nutzen kann oder will, ist ähnlich abgehängt wie jemand, der ein paar Jahre zuvor nicht lesen konnte und ich erwarte in einigen Jahrzehnten ähnliches bei der Prothetik. Durch Verbote werden solche Entwicklungen nicht aufgehalten sondern nur in die Illegalität verschoben. Die Antwort auf die Prothetik kann nicht die Warnung davor sein, die Antwort muss sein, weiterhin auch für Inklusion zu kämpfen und herauszustellen, dass Barrierefreiheit keine lästige Pflicht gegenüber Benachteiligten ist, sondern etwas, das allen nützt.

Links der Woche

 

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Google Street Car In Berlin from Evan Roth on Vimeo.

Warum eigentlich…

…blogge ich nie über meine Schwerhörigkeit? Viele, die mich kennen, wissen Bescheid und auf meiner geschäftlichen Homepage mache ich auch keinen Hehl daraus: Als Teenie habe ich schleichend über mehrere Jahre mein Gehör fast gänzlich verloren. Ich bin in der glücklichen Situation, als Kind noch normal Hören und Sprechen gelernt zu haben. Mit Hörgeräten komme ich so gut zurecht, dass viele Leute gar nicht bemerken, dass ich schlecht höre oder nicht verstehen, wie wenig ich eigentlich verstehe. Das führt dazu, dass die Erwartungshaltung mir gegenüber oft eine falsche ist. Wie begreiflich machen, welchen Stress z.B. ein einfaches Telefonat verursacht?

Ich hatte immer nur wenig gehörlose Menschen um mich. Kann bis heute keine Gebärdensprache. Bin so dermaßen an meinen Zustand gewöhnt, dass das Handicap einfach kein Teil meiner Selbstwahrnehmung ist. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich bisher nicht darüber gebloggt habe. Vielleicht aber auch meine Sorge, auf dieses Thema reduziert zu werden.

Ich erfahre aber zunehmendes Interesse da draußen. Deshalb führe ich heute die Rubrik „Krachstille“ ein. Ich gebe ja zu: Mein Blog ist momentan zu einer Politik-Ecke verkommen. Das gefällt mir selber nicht, liegt aber an der Zeit. Ich weiß noch nicht, wann ich daran gehen werde, die neue Rubrik weiter zu befüllen oder auch sonst mehr wie früher zu bloggen. Einstweilen möchte ich dem geneigten Leser die beiden vorzüglichen Blogs „die welt mit den augen sehen“ und „Not quite like Beethoven“ ans Herz legen.