Finsterer Novemberabend. Mit etwas Fantasie kann sich jeder ausmalen, wie das sich das anfühlt, in einen auf dem Bürgersteig herumliegenden Schaumstoffquader zu treten, den man vorher nicht sieht. Das ist mir gestern passiert. Der Schreck war wie üblich, aber ich fühle mich um das verlegene und auffällig unauffällige Schuhabstreifen betrogen. Politische Forderung für den Fall eines eventuellen Parteiengagements vormerken: Schaumstoffteile sollen ab sofort gesellschaftlich und rechtlich mit Hundekot gleichgesetzt und entsprechend verfolgt werden. Aber vielleicht regelt das ja schon der Schill.
Blog
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Last days of Lucifer
Gott ist tot. Lucifer bald auch. Jedenfalls die gleichnamige wendländische Discothek. Schade, extrem schade. Westlich des Ural gab es kaum einen Ort, wo man nach jahrelangem Rock-Disco-Sterben noch so gut abhotten konnte. Seis drum: Die Bikerparty dieses Wochenende war der Hammer. Und ich fühle mich heute wie zwischen selbigem und Amboss. Nur gut, dass ich wegen der 110 km Heimfahrt auf Alk verzichtet habe. An alle Techno-Hasser, die es nicht weit ins Wendland haben: Fahrt hin, solange es noch geht! DanFun hat dann noch ein Persönchen abgeschleppt, aber soweit ich in Erfahrung bringen konnte, weder kleine Inder noch CDU-Mitglieder gezeugt.
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Die Börse: ein Reich der Phantasie
Vor noch einem Jahr erzielten bestimmte Aktien groteske Phantasiewerte. Heute fallen auch andere Aktien in ebenso groteske und phantastische Untiefen. Meine aufrichtige Hochachtung gilt aber den Börsenjournalisten, die die seit Wochen und Monaten immer gleichen Schreckensmeldungen in immer neue Worthülsen fassen müssen.
SPIEGEL-ONLINE:
- 19.9. Märkte brechen ein – Deutsche Bank stürzt
- 18.9. Kreditwürdigkeit hat gelitten
- 17.9. Dow Jones – schwerster Punktverlust in der Geschichte
- 14.9. Dax verliert kräftig
- 13.9. Terroranschlag lähmt Weltkonjunktur
- 12.9. Die Unsicherheit bleibt
- 11.9. DAX verliert über 9 Prozent
- 10.9. Börsenschluss: Die Angst regiert
- 07.9. Nackenschlag aus New York
- 06.9. Normalität heißt abwärts
- 05.9. Nemax 50 auf Allzeittief
- 04.9. Der kurze Frühling der Hightech-Titel
- 03.9. DAX auf Jahrestief
- 01.9. Von wegen großer Bruder
- 31.8. Depression zum Wochenschluss
- 30.8. Neuer Markt im freien Fall
- 29.8. Comeback des Sparbuchs
- 28.8. US-Verbraucher schicken Börse auf Talfahrt
- 27.8. Schwache Wall Street drückt auf die Kurse
- 24.8. Die Vorgaben der Wall Street für den Freitag sind wenig erfreulich.
- 23.8. Breitband wird kein Geschäft
- 22.8. Börsenflaute: Teure Lektion für Kleinanleger
- 21.8. T-Aktie reißt DAX ins Minus
- 20.8. Aktien: Russisches Roulette
Jeden Tag neue Kleider für den Kaiser – eine bemerkenswerte Leistung. Die Redakteure des SPIEGEL sind aber nicht die einzigen. Auch einige andere beweisen eine beachtliche Kreativität:
- 17.9. Bundeskanzler Schröder warnt vor zu viel Pessimismus.
- 06.9. Finanzminister Hans Eichel hatte seine Wachstumserwartungen für 2001 Anfang August nach unten korrigiert. Sie liegen aber noch weit über denen des IWF.
- 04.9. Werner Müller: Drei Prozent Wachstum im nächsten Jahr
In diesem Sinne…
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Das Versprechen
Wenn kleine Kinder misshandelt und verstümmelt in der Landschaft gefunden werden, sorgt das für Schlagzeilen, Verstörung, Wut in der Bevölkerung und hektische Stunden im Polizeirevier. Speziell Polizisten sollten jedoch auf sich acht geben, denn die Jagd nach dem unbekannten, phantomhaften Täter selbst kann auch zu einer zerstörerischen Obsession werden.
„Das Versprechen“ erzählt die Geschichte des alten Mannes bei der Polizei, der seinen letzten Fall löst, obwohl er eigentlich schon pensioniert worden ist. Was für sich genommen schon ein unerträgliches Klischee wäre, ist hier Kern der Handlung – manche Menschen verlieren mit ihrer Aufgabe auch jeden Sinn in ihrem Leben. Basierend auf Friedrich Dürrenmatts Roman „Es geschah am hellichten Tag“, der bereits vor Jahrzehnten mit Heinz Rühmann und Gerd Fröbe verfilmt worden war, sehen wir diesen Niedergang, die allmähliche, komplette Auflösung all dessen, was das Leben lebenswert macht.
Um nicht am Ende zu sein, wird es für Jerry zur totalen Obsession, einen Kindsmörder zu finden und verfolgt zäh und in verbissener Arbeit die geringsten Spuren. Nur oberflächlich scheint er Gedult zu haben, wir sehen ihn als unrasierten Kettenraucher in seiner Tankstelle auf den Mörder wartend, von dem er nur ein ungefähres Bild hat. Nur sehr, sehr langsam ergeben sich neue Fakten. Sehr allmählich gewinnt Jerry das Vertrauen einer Nachbarin, bis er sie schließlich mitsamt Tochter bei sich einziehen lässt.
Wer die Romanvorlage kennt, weiß, dass Jerry das Kind zwar lieben lernt, es vor allem aber als Lockvogel braucht. Moralische Werte verschieben sich, werden gleichgültig bei dieser Jagd auf einen Mörder, der nie greifbar ist. Ein schöner Kunstgriff des Filmes ist, ihn in keiner Einstellung wirklich zu zeigen. Trotz der gelegentlichen drastischen Szenen geht es eigentlich nie um die Jagd an sich, sondern vor allem immer um Jerrys immer grimmiger werdende Obsession, seine Verlorenheit, sein Unvermögen, ein normales Leben zu führen.
Zwischen den oft sehr kurzen Dialogsequenzen setzt Regisseur Jean Penn lange, meditative Natureinstellungen, lässt viel, sehr viel Zeit vergehen, Jahreszeiten verstreichen. Kann man deutlicher darstellen, wie quälend das Warten sein kann, als den Zuschauer selber auf dem Kinosessel zu quälen und den Film in die länge zu ziehen (und zwar ohne eine einzige überflüssige Szene zu zeigen)? – Man kann eigentlich nicht, und neben Jack Nicholsons grandiosem Spiel, neben den Naturaufnahmen zwischen Idylle und Verlorenheit, neben dem zwar vordergründigen aber dennoch sehr intelligenten Plott ist es vor allem diese Langgezogenheit, die allmählig zur Qual wird und den Zuschauer am Ende genauso alleine lässt wie Jerry, der merken muss, dass all sein Tun zweifelhaft, seine Obsession vergeblich war.
„Das Versprechen“ könnte viele Zuschauer maßlos langweilen, ja verärgern. Der Film ist keine flotte, vordergründige Unterhaltung, zeigt aber, dass es manchmal nötig sein kann, den Zuschauer ebenso zu quälen wie die Hauptfigur. Das Thema von Dürrenmatts „Es geschah am hellichten Tag“ setzt er jedenfalls grandios und zwingend um wie selten eine Literaturverfilmung.
USA 2001, 124 min
mit Jack Nicholson, Mickey Rourke, Patricia Clarkson
Regie: Sean Penn -
Aktenzeichen XY abgekanzelt
Mit dem doch recht enttäuschenden Ergebnis des Schlichtungstermins kann ich vor allem nur deshalb leben, weil ich sowieso fahren musste, um meine alte Wohnung weiter auszuräumen. Habe aber weder Zeit noch Geld noch Lust und auch keine Nerven, einen Prozess vor dem Arbeitsgericht Zwickau von Hamburg aus zu führen.
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The Gift
Wenn frau als Hellseherin ihren Lebensunterhalt verdient, stellen sich fast automatisch drei Probleme ein: erstens schlechte Träume und gruselige Momente erleben, zweitens Nachbarn haben, die einen nicht mögen, und drittens Hauptfigur in einem zweitklassigen Horrorthriller sein.
So widerfährt es jedenfalls einer alleinerziehenden Mutter. Inmitten einer wie gehabt bedrohlich-schwülen Südstaatenatmosphären hat sie alptraumhafte Visionen bezüglich des Verbleibs einer jungen Dame. Selbstverständlich wird die Junge Dame aus dem See gefischt, selbstverständlich wird jemand vor Gericht gestellt und selbstverständlich deuten weitere Visionen darauf hin, dass nicht unbedingt der richtige angeklagt worden ist.
Wohltuend zurückhaltend und dennoch atmosphärisch stimmig setzt „The Gift“ seine Stilmittel ein, lässt Geister erscheinen oder das Wetter mal wieder unmissverständlich klarmachen, dass der Abend recht dramatisch wird. Angenehm ist das Fehlen sich bewegender Fotographien in verwunschenen Häusern, und ein Gehirntumore diagnostizierender Psychiater ist ebenfalls nirgends auszumachen.
Auch nennen muss man die recht gute Darstellertruppe: Kate Blanchett als zerbrechlich-starke Frau im emotionalen Wechselbad, Keanu Reeves wie immer etwas fade agierend aber dennoch mal nett gegen seinen Typ (hier als Hinterwald-Brutalo) besetzt, Kathie Holmes als brünettes Gift und hübsch anzuschauende Leiche.
Hätte also ein guter Film werden können. Hätte, könnte, würde – ist aber nicht! Lebensumfeld und die gängigen Kleinstadt-Typen kommen daher wie aus dem Bilderbuch ausgesucht. Brauchen wir nicht einen netten Lehrer? Dazu ne fiese Schlange? Wie wärs noch mit einem schüchternen, aber gutherzigen Psychowrack? Außerdem eine Frau, die von ihrem Mann verprügelt wird und einen zynischen Polizisten? Für den Anspruchsvollen vielleicht noch einen korrupten Staatsanwalt dazu? Könnt ihr alles haben, und auch noch alle hübsch gespielt – und in jeder Hinsicht zuviel des Guten.
Was jedoch fehlt: Spannung (abgesehen von einigen lichten Momenten), eine interessante Handlung, echten Grusel, ganz sicher ein Showdown und auf jeden Fall Humor und interessante Dialoge. Was bleibt ist ein typischer, mittelmäßiger Mystery-Thriller mit erheblichen Längen, der versucht, mal nicht reißerisch sondern menschlich daherzukommen, damit aber nur langweilen kann.
USA 2001, 111 min
mit Kate Blanchett, Keanu Reeves, Kathie Holmes
Regie: Sam Raimi -
Hamburg sehen und sterben
Freitag: Das Auto war so voll, dass ich mir ernsthaft Sorgen um Achsen und Federung gemacht habe. Der gute alte Golf hats überlebt, wenn ich aber überlege, wieviel Krämpel noch in der alten Wohnung ist… schauder!
Samstag: Offiziell bin ich ja noch kein Hamburger, daher war meine erste Amtshandlung in der neuen Stadt, ins Wendland zu fahren. Lüchow steht noch, Bernds Rechner machen weiter den üblichen Ärger und das Luci hat heute dicht. Dafür wars im Apex auch ganz nett. Mucke mies, aber gute Leute da. Eines ist schade.
Sonntag: Pennen. War nicht morgen was? Ach so, neuer Job. Never mind… Spaziergang an Alster, Jungfernstieg und – Neugier – auf der Reeperbahn.
Montag: Ein typischer „erster Tag“ mit all seinen Unsicherheiten, der gewissen Nervosität und mit all der Freundlichkeit, die einem entgegengebracht wird.
Dienstag: Ein typischer zweiter Tag: Plötzlich bist du mittendrin. Aber diese totale Internetlosigkeit abends zuhause, die verschafft mir noch zittrige Hände. Mensch kann sich an alles gewöhnen, aber die Decke fällt mir auf den Kopf. Interessanter Besuch bei H. in Altona – es wurde viel zu spät und ich hab die U-Bahn verpasst… Taxen in HH sind nicht teuer, die Strecken sind es. Zum Glück musste ich nur vom Hbf zur Mundsburg, wo mein Auto stand.
Mittwoch: Hey, ich arbeite nicht umsonst gleich am Mundsburg-Center. Mit H. im Kinopolis „The Gift“ gesehen. Ein zweitklassiger Film in einem erstklassigen Kino. Das Kinopolis wird mein neues Stammkino, nicht zuletzt, da ich in jeder Vorstellung ermäßigte sieben DM zahle… außer dienstags. :-)
Donnerstag: Heute hat mich der Verkehr so richtig erwischt. 45 Minuten für 6 km – Rekord? Wo in Hamburg gibt es einen Waschsalon? Egal, ich fange an, die Chose zu lieben. Arbeit macht wirklich Spaß, und hinterher wirds Auto einfach stehengelassen: Einkaufen, ins Kino oder was man sonst so rund um die Mundsburg alles machen kann. Und nach Hause fahren dann später, wenn die Straßen nicht so voll sind. Life is great.
Freitag: Woche überstanden. Alles senkrecht. Morgen ins Wendland. Bin hundemüde aber kanns nicht lassen: Nachts noch runter an die Landungsbrücken und den „Headbangers Ballroom“ sehen. War selten so enttäuscht. Gibt es in dieser Millionenstadt keine größere Rockdisse? Außerdem gabs fast nur Punk, Wave und Gothic – als hätte ich mich nicht schon genug gefreut, endlich nicht mehr nach Lichtenstein ins UNI zu „müssen“. Danach Kaiserkeller. Mir war es schon vor dem Laden zu voll. Ob ich wohl vor 3 Uhr reinkomme, wenn ich mich jetzt (1:45) anstelle? Forget it… Außerdem was soll die ganze Polizei hier? Drogen? Mord? Schill bald Bürgermeister?
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Aus der Reihe „Liebeserklärungen, die der Mittagsschlaf gebirt“
Bitte lass mich Deine Nivea-Dose sein!
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American Pie 2
Astoria, Zwickau
Ein Jahr nach Teil 1 trifft sich die Teenie-Truppe wieder, noch immer mit Hochdruck auf der Suche nach Frauen, Sex und der eigenen Männlichkeit. Der titelspendende Kuchen wurde jedoch durch eine Alleskleber-Nummer ersetzt und statt Sperma spielt diesmal Urin seine ekelig-komische Rolle. Vollkommen geschmacklos?
Die derben Zoten schaffen es ein weiteres mal, wirklich zu amüsieren. Wenn sich die alte Clique nach einem Jahr der schulischen Trennung in einem Strandhaus trifft und dort abfeiert, macht es einfach Spaß, den katastrophalen Kopulationsversuchen zuzusehen. Sicher, das Script ist heillos konstruiert und hat nur den einen Zweck: So viele haarsträubend wie extrem peinliche Situationen wie nur irgend möglich herbeizurufen. Außerdem hat es einige Durchhänger.
Selbstverständlich reicht der zweite Aufguss lange nicht an den ersten Teil heran: Der hatte einfach zu viele tolle Gag-Ideen, die man so ohne weiteres mit dem gleichen Thema nicht steigern kann. Dabei ist „American Pie 2“ durchaus gar nicht so derb, auch wenn wieder einige Pointen ganz klar auf abartigste anatomische Regionen zielen. Aber mit einem gewissen Erfolg wurde dem Film dieses mal sowas wie eine Message verpasst, die in etwa lautet: Liebe und Freundschaft zählen mehr als die reine Kopulationsfrequenz.
Es handelt sich eigentich um nichts anderes als einen zeitgemäßen Neuaufguss der „Eis am Stil“-Filme. Und diese werden auch weit übertroffen. Sicher kein anspruchsvolles Kino, aber Lacher und Unterhaltung auf Herrenwitz-Niveau sind genügend vorhanden. Die Darsteller jedenfalls mache ihre Sache sehr ordentlich und man sieht dem Ergebnis an, dass sie am Dreh einen Heidenspaß gehabt haben müssen. Jeder Zuschauer dürfte so seine eigenen Unsicherheiten haben oder sich gruselnd an seine Pubertät zurückerinnern – umso befreiender kann ein herzaftes Lachen über diese Dinge sein. Eigentlich gar nicht so furchtbar geschmacklos, sondern ein durchaus sympathischer Film.
USA 2001, 105 min
mit Jason Biggs, Alyson Hannigan, Mena Suvari, Seann William Scott, Eddie Kaye Thomas
Regie: James B. Rogers -
A.I. – Künstliche Intelligenz
Astoria, Zwickau
Ein kleines Geschöpf: hinreißender Blondschopf, Stupsnase, artig, folgsam. Und ausgestattet mit diesem Blick, mit dem es sagen kann: „Ich hab dich lieb, Mami.“ – welche Gefühle hätte man, egal ob männlich oder weiblich – gegenüber diesem Geschöpf? Wenn es wie ein süßer Fratz aussieht? Wenn man wüsste, dass es eine Maschine wäre? Und was, wenn es vielleicht mehr als eine Maschine wäre?
Solche Maschinen werden vielleicht existieren. Nicht in naher Zukunft, aber es gibt keinen Grund, warum das technisch langfristig unmöglich sein sollte. Und es wirft eine Menge Fragen auf. In einem Amerika nach der Klimakatastrophe existieren sie – Roboter, die wie Menschen aussehen, ihnen Arbeit abnehmen. Z.B. künstliche Gigolos, mit denen man „besseren Sex“ erleben kann, als mit einem echten Mann. Diese Maschinen machen natürlich auch wieder Menschen überflüssig. Und werden dafür von nicht wenigen gehasst, sogar gejagt.
Besonders perfide ist die Idee, künstliche Kinder herzustellen, für Eltern, denen echte Kinder versagt bleiben. Kinder mit einem Ausschalter, für die man keinen Babysitter braucht, wenn man ausgehen will, aber Kinder, die einen liebevoll ansehen, wenn man ihnen Märchen vorliest. Monica und Henry sind solche Eltern. Ihr Sohn liegt im Koma, so bekommen sie David ins Haus. David ist zunächst einfach nur eine Maschine. Aber man kann ihn zu rückhaltloser Liebe konditionieren, indem man ein Programm startet. Ein Programm, dass sich nicht rückgängig machen lässt. Entgegen allen Warnungen, es nur zu tun, wenn sie sich ganz, ganz sicher sei, setzt Monica es in emotionaler Verwirrung in Gang.
Natürlich ist David nur ein „Supertoy“, ein Ersatz. Als sein „Bruder“ aus dem Koma erwacht, ist David nicht nur überflüssig, er setzt auch Konflikte frei, wie sie sich stärker oder schwächer immer unter „Geschwistern“ abspielen – die Konkurrenz um die Mutterliebe. Und es wirkt schon hier beängstigend, wie David von seinem Programm abweicht und immer deutlicher menschliche Züge entwickelt. Eine Frage der Zeit, wann sich die Situation so zuspitzt, dass man ihn aussetzt. In einer abgrundtief traurigen Szene lässt Monica ihn in einem Waldstück zurück, und die Maschine David kann nichts weiter, als seine „Mutter“ programmgemäß zu lieben, eine entsetzliche Angst vor Trennung und Alleinsein zu haben.
Allein im Wald zurückgelassen begibt David sich auf eine Odyssee. Er sucht seine „Mutter“ – und er sucht wie ein High-Tech-Pinocchio nach der „blauen Fee“, die ihn vielleicht in ein richtiges Menschenkind verwandeln kann. Dabei gerät er in die Fänge von Menschen, die Jagd auf Maschinen machen, lernt alte, abgewrackte Modelle kennen, die einerseits wie zombiehafte, kaputte Maschinen wirken, doch andererseit wieder beängstigend lebendig. Eine „Liebesmaschine“ und ein intelligenter Teddy helfen ihm auf seiner Suche, und wenn er ans Ziel gelangt und hinter das Geheimnis seines Daseins kommt, schließt der Film nur seinen zweiten Akt, wendet die Handlung vollends ins Märchenhafte und steuert in psychedelischen Bildern auf ein grandioses Ende zu.
Tiefe, existenzielle Fragen sind es, die der Film aufwirft. Wenn wir einer Maschine Bewusstsein einprogrammieren. Wenn wir ihr die Möglichkeit geben, ihr eigenes Ich zu reflektieren, wenn wir sie so programmieren, dass sie lieben kann, was die Fähigkeit zu Hassen und Schmerzen zu empfinden zwangsläufig einschließt – was unterscheidet diese Maschine noch von einem menschlichen Wesen?
Selbst wenn man ausklammert, dass es sich um eine Maschine handelt, so wird David trotzdem knallhart mit so ziemlich allem konfrontiert, was einem Menschen seelisch weh tun kann. Geschwisterkonkurrenz, Entzug der Mutterliebe, Einsamkeit, die Feststellung, dass man ein Individumm ist, später die Feststellung, dass man keinesfalls einzigartig ist – hier verstörend gezeigt in der grandiosen Szene, in der David völlig identische Replikationen seiner selbst findet, die schon komplett verpackt für die Ladentheke bereitstehen.
„A.I.“ rührt an die tiefsten Traumata und Ängste eines Menschen. Er tut dies bisweilen mit brutaler Kälte, bisweilen einfühlsam doch tief traurig. Ein amibitioniertes Projekt, für das Stanley Kubrik 1982 die Rechte erworben hat, das er jedoch nie verwirklichen konnte. An seiner Stelle übernahm Steven Spielberg – auf Kubriks Wunsch hin – den Part. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Meisterwerk. Spielberg muss einen Haufen Dokumente aus dem Nachlass von Kubrik gesichtet haben: Texte und Designskizzen. Und Spielberg scheint Kubriks Stil sehr genau analysiert zu haben. Jedenfalls sieht der Zuschauer über lange Strecken vor allem eines: einen Kubrik-Film.
Dennoch ist Spielbergs Handschrift – speziell im letzten Drittel es Filmes unübersehbar. Spielberg kann nocheinmal der Magier sein, in großartigen Bildern an Filme wie „E.T.“ erinnern. Und ich glaube nicht, dass „A.I.“ nur aus Zufall eine ähnliche Abkürzung als Titel verpasst bekommen hat. Scheinbar, aber auch nur scheinbar, steuert Spielberg den Film massiv in Richtung Kitsch. Dennoch ist jederzeit klar, dass das, was er zeigt, nichts anderes ist, als Kubriks Vision.
Schade, dass es einige Unschönheiten wie kleinere Logikfehler gibt, z.B. der Tatsache, dass wohl kaum das Eis der Polkappen ausreicht, um in der Klimakatastrophe den Meerespiegel um geschätzte 100 m steigen zu lassen. Vielleicht ist der Druck auf die Tränendrüsen zeitweise übertrieben, vielleicht mag der herumwackelnde Robo-Teddy einige Zuschauer nerven. Vielleicht ist der Film insgesamt zu lang geraten.
Das spielt alles kaum eine Rolle, denn bis zuletzt strotzt die Storyline von intelligenten Einfällen. Kubrik liefert er nochmal das Fazit seines Schaffens, und es spricht für die Stärke seiner Vision, dass Spielberg trotz einiger Schnitzer dem Film nicht wirklich schaden konnte. Er unterhält – bisweilen mit angemessenem Humor -, er bietet erstklassige Effekte und Animationen und die berauschende visuelle Umsetzung einer Welt, wie sie in Zukunft wirklich sein könnte. Wie jede gute Science Fiction, ist er eine Parabel und beschäftigt sich mit philosophischen und ethischen Fragen. Er bietet eine überaus intelligente Storyline, eine stringente Handlung und vor allem: erstklassige Darsteller. Neben Jude Law als Gigolo-Roboter spielt vor allem Haley Joel Osment auf absolut faszinierende Weise den menschlich wirkenden Automaten – für den Kinderstar eine Leistung, die weit über „Sixth Sense“ hinausgeht.
Man genieße „A.I.“ wie jemand der keine Schmalzbrote mag: Die dicke Schmalzschicht abstreifen und den Rest genüsslich verinnerlichen. Szenen, die zu Tränen rühren, hat der Film auch dann noch. Und zwar authentische. Dies ist eines der größten Meisterwerke Spielbergs wie Kubriks, ja eine Synthese zweier völlig verschiedenen Stile zu etwas völlig Einzigartigem.
USA 2001, 145 min
mit Harley Joel Osment, Jude Law, Frances O’Connor
Regie: Steven Spielberg