Mein Cochlea-Implantat wird zwei

tl;dr: Leider geil.

Bildschirmfoto 2013-05-28 um 00.10.26

Vor fast exakt 2 Jahren wurde bei mir das rechte Cochlea-Implantat eingeschaltet. Damals bewegte ich mich zunächst akustisch in einer wabernden Wolke. Das hat sich geändert. Um das Ergebnis zu kontrollieren, wurde ich von einer Doktorandin eingeladen, mein Sprachverständnis messen zu lassen. Zunächst auf meinen Wunsch kurz beide Ohren mit dem klassischen Freiburger Wörtertest. Das Ergebnis war wie gehabt 95%. Normal hörende Menschen schaffen hier in der Regel 95% – 100%. Vor meiner Operation war ich bei 25% – mit Hörgeräten!

Dann ging’s nur mit dem rechten Ohr weiter, das Jubiläum hat: Wir machten wir den OLSA. Der Test ist in der Auswertung kompliziert. Gemessen wird, bei wieviel Störschall gerade so 50% verstanden wird. Normalhörende erreichen hier einen Wert von -5 und niedriger, das heißt, der Störschall darf sogar ein wenig lauter sein als der Sprecher. Ich habe einen Wert von  -1,2 erreicht, das heißt, dasselbe gilt auch im geringeren Maße für mich. Menschen mit Hörgeräten und CI erzielen in aller Regel einen positiven Wert, bei dem der Störschall also ein gutes Stück leiser sein muss.

Zuletzt haben wir noch den HSM Satztest gemacht, bei dem zufällig zusammengewürfelte, meist unsinnige Sätze nachgesprochen werden müssen. Der produziert ein handliches Ergebnis mit Prozentwerten. Ich kam auf 98,1%. Mit Störschall noch 78,3% (15 dB Rauschabstand). Das sind Werte, von denen ich als fast tauber Hörgeräteträger nur träumen konnte und das erreicht leider auch längst nicht jeder CI-Träger.

Das alles betrifft jetzt allein das Hören mit dem rechten Ohr. Zusammen mit dem linken wird alles nochmal viel besser und wenn man als Normalhörender einohrig durch die Welt geht, wird man auch hier und da Schwierigkeiten bekommen – besonders unter Störschall. Wie ist es nun, 2 Jahre danach? Ich telefoniere, gehe in Clubs und Konzerte, unterhalte mich da auch, nehme an Versammlungen teil, höre Musik, schaue Filme ohne Untertitel, höre Podcasts und all das auch gerne auf Englisch, gehe regelmäßig auf Lesebühnen, war im Landesvorstand der Piratenpartei, arbeite für eine TV-Produktionsfirma und schreibe hier und da Texte für verschiedene Medien. Ohne CI wäre ich wohl heute nicht, wo ich bin und das meiste davon wäre in meinem früheren Leben undenkbar gewesen. Allein Telefonieren: Das hatte ich die letzten 10 Jahre gar nicht mehr gemacht, weil es mir zu stressig war.

Natürlich habe ich weiterhin Nachteile, z.B. höre ich nichts, wenn das CI ausfällt, was meistens an leeren Batterien liegt, für die ich keinen Ersatz dabei habe. Der wohl wichtigste Nachteil: Im Sprachprozessor des Cochlea-Implantates ist zu einem guten Teil klassische Hörgeräte-Technik verbaut und bringt die üblichen Nachteile mit sich: Das Mikrofon liegt nicht in der Ohrmuschel sondern oberhalb des Ohres. Wenn Wind über das Gehäuse streicht, ist ganz schnell Ende mit Hören. Dann habe ich nur noch Krach, der klingt, als ob jemand auf ein Mikrofon pustet. Fernsehleute kleiden ihr Mikrofon für sowas ja in Pelze. Vielleicht sollte ich das auch machen, aber wie das wieder aussieht. Und manchmal aber selten, verstehe ich doch nicht so gut, wie ich sollte, was sich aber durch einfaches Nachfragen erledigt. Kommunikationskatastrophen wie früher gibt es eigentlich nicht mehr.

Ich glaube mittlerweile, dass das Mikrofon und seine Qualität ein wesentlicher Engpass ist, ohne es durch übermäßiges technisches Wissen belegen zu können. Ich telefoniere nicht gerne mit dem Hörer am Ohr sondern verbinde das CI lieber direkt per Kabel mit dem Telefon. Dasselbe gilt beim Musikhören und Filmegucken. Etwas über einen Lautsprecher abzuspielen, damit es bei mir wieder von einem Mikrofon aufgenommen wird, sorgt für Qualitätsverlust. Ein wenig wie bei Luftaufnahmen – ältere Leser kennen das vielleicht noch. Ich vermute, dass der kleine Rest, der mir noch zum „Normalhören“ fehlt, ein wenig auch von diesen Mikros abhängt. Verkabelt habe ich mittlerweile das Gefühl, richtig gut zu hören. Auch und gerade bei Musik kommen dann ungeahnte Nuancen. Unmerklich hat sich das auch noch die letzten Monate weiter entwickelt. Und seit ich nun auch über 1 Jahr lang zwei CI trage, ist der Klang in jeder Beziehung für mich normal und natürlich geworden. Ich nehme keinerlei Künstlichkeit mehr wahr.

Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, dass das CI hat mein Leben verändert und mir etwas zurückgegeben hat, das über 20 Jahre lang verloren war. Ohne das CI wäre ich heute nicht da, wo ich bin, und hätte überhaupt viel weniger Spaß. Ich bin wohl weiterhin „leicht schwerhörig“, wobei ich aber mit meinem heutigen Gehör gar keine Hörgeräte bekäme. Dafür habe ich ein paar zusätzliche Fähigkeiten: Ich kann absolute Stille herbeiführen, an schlechten Tagen allenfalls von einem Tinnitus unterbrochen. Ich kann die Lautstärke frei regeln und Programme wechseln. Ich kann Höhen hören, die Menschen in meinem Alter üblicherweise nicht mehr wahrnehmen können. (Das war ein Trugschluss.) Ich kann verschiedene Filter verwenden, die dazu dienen, Sprache in ruhiger oder lauter Umgebung besser zu verstehen und kann Musik völlig ungefiltert hereinlassen, indem ich einfach das Programm wechsele.

Ich könnte mich nur ärgern, dass ich diese Operation nicht schon viel eher gemacht habe. Mach ich aber nicht.

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