Die Eintagsfliege hat mitnichten ein kurzes Leben. Ihr selbst erscheint es so lang, wie sie es fühlt: Ein endloses Leben im Licht. Und während sie so summt und fliegt, die kleine Reppenstedterin, radele ich vom Sport nach Hause, stramm zum Gut Schnellenberg; genieße die Sonne, die Luft und dass meine Muskeln sich erst morgen über die zurückliegenden Zumutungen beklagen werden. Unter dem Ich stelle man sich vor: ein gigantisch großes, schweres menschliches Wesen, welches auf seinem treuen Rade „Silbersofa“ durch die Landschaft sprengt; ein Wesen, dessen Gewicht und Volumen das der winzigen Fliege millionenfach übersteigt.
Ich radle also, die Nase im Wind, die Glatze in der Sonne, den Blick schweifend über sanft geschwungene Rapsfelder und hinter Sträucher sich duckende Fachwerkhäuschen. Und die Fliege … nun ja fliegt, und zwar (wir können es fast ahnen:) ihre Fühler im Wind, ihre Flügel in der Sonne und in ihren Facettenaugen leuchten geschwungene Rapsfelder und sich unter Gräsern duckendes Eintagsfliegenfutter. Die Fliege und ich: Uns verbindet das unsichtbare Band des Schicksals.
Ich und die Fliege: Wir fliegen und radeln, radeln und fliegen, immer aufeinander zu. Und auf einer Anhöhe kurz vor der Teufelsküche, ja da komme ich doch glatt ein wenig außer Puste, der Steigung wegen; sperre meinen Mund auf und schon ist es geschehen. Die Fliege haucht ihr kurzes Leben aus, ist nun nichts weiter als ein knirschiger Krümel in einer Backentasche. Dort will sie nicht sein und dort will ich sie nicht haben, aber wie abstoßen diesen fremden Organismus? Diese Fliege loszuwerden ist mir so peinlich und so dringend wie dem Mörder seine Leiche. Ich puste und spucke und kaue und rotze, mal links und mal rechts, doch das störende Objekt will nicht weichen. Ich schnappe wie ein Karpfen. So wehrlos die Forelle dem Fliegenfischer ausgeliefert ist, eben so wehrlos zieht mich die Pein wie an der Rute gezogen heimwärts. Ich radle so schnell ich kann, ich strample und sause und darf dabei kaum atmen, damit sich das Malheur nicht wiederhole. Ich werfe das Rad ins Gras, springe in die Wohnung und spüle meinen Mund…
Der Eintagsfliege, der kleinen Reppenstedterin, ist es freilich wesentlich schlechter bekommen als mir. Es war noch lange vor dem Mittag; in der Blüte seiner Jugend musste das Tierchen sein Leben aushauchen. Ein tödlicher, tragischer Verkehrsunfall, den niemand wollte, und jetzt alle schnell vergessen möchten.
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