tl;dr: Direkte Demokratie ist eine Demokratie ohne Checks and Balances
Es gibt den schönen wie zynischen Spruch: Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf darüber abstimmen, was es zum Abendessen gibt. Wie wahr dieser Spruch leider ist, zeigt der Brexit: Überwiegend alte Menschen haben für den Brexit gestimmt und damit wahrscheinlich den in der Minderheit befindlichen jungen Wählern einiges an Lebenschancen genommen. Ob das so stimmt, sei dahingestellt, schließlich sind besonders wenige Jungwähler überhaupt zur Abstimmung gegangen. Worauf sich dann wieder antworten ließe, dass sie wegen Berufstätigkeit oder Problemen mit der Registrierung als Neuwähler nicht mit abstimmen konnten.
Wie dem auch sei: Das Muster ist klar. Die Abstimmung wird als unfair empfunden. Im Internet kursieren Diagramme, die zeigen, wie viele Jahre die eher jungen Brexit-Gegner nun mit dem Ergebnis leben müssen und wie wenige Jahre die eher alten Brexit-Befürworter. Erste Forderung nach Einschränkung des Wahlrechtes für alte Menschen oder Altersquoten in Parlamenten werden laut. Die FAZ publiziert händereibend Öl ins Feuer gießend: Die Greisenfresser kommen! Die Debatte ist einer der vielen Kollateralschäden des Brexit-Referendums. Das Referendum vergiftet das gesellschaftliche Klima. Und ich fürchte, dieser Effekt ist a priori in die direkte Demokratie eingebaut.
Natürlich finde ich das Ergebnis aus besagten Gründen auch unfair. Sehr viele finden es unfair. Das liegt daran, dass hier tatsächlich zwei Wölfe und ein Schaf abgestimmt haben. Die Antwort kann jedoch nicht sein, den Wölfen das Stimmrecht einzuschränken. Dieses Empfinden, der Brexit sei unfair, ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass direkte Demokratie Mist ist. Sie ist zu simpel. Sie reduziert auf Ja-Nein-Fragen. Sie baut Fronten auf, wo gesellschaftlicher Dialog not täte. Sie kennt keine Verhandlungen oder Prozesse, in denen sowas wie Transparenz oder Bürgerbeteiligung überhaupt erst eingebaut werden könnte. Sie bietet keine Möglichkeiten, im Laufe der Verhandlungen weitere Optionen jenseits des Ja/Nein ins Spiel zu bringen, die einen Kompromiss überhaupt erst ermöglichen. Sie kennt keine Checks and Balances zwischen verschiedenen Gremien wie etwa Regierung, Bundestag, Bundesrat und obendrein Verfassungsgericht, sollte das Ergebnis gegen Grundrechte verstoßen. Entpuppt sich der im Referendum abstimmende Bürger gerade selbst als Tyrann, hat das Land halt Pech gehabt.
Die Forderung nach direkter Demokratie klingt immer wohlfeil. Mit ihr lässt sich wunderbar schwadronieren, man wolle dem Volk die ihm vorenthaltene Macht zurück geben. Sie „denen da oben“ wegnehmen. Mit ihr lassen sich Dinge wie Moscheebauverbote durchdrücken, die in einem funktionierenden System aus Checks und Balances sonst keine Chance gehabt hätten. Direkte Demokratie ist etwas für Populisten oder Schlimmeres. Es hat Gründe, dass Leute, die die direkte Demokratie propagieren, sich ganz schnell in einer Querfront wiederfinden. Demokraten, denen an einer funktionierenden Gesellschaft, Grundrechten und geschützten Minderheiten gelegen ist, sollten zusehen, dass sie sich von Forderungen nach direkter Demokratie distanzieren.
Kommentare
5 Antworten zu „Direkte Demokratie ist eine Gefahr für die Demokratie“