Deutschland hat wieder „eigentlich“ links gewählt, wenn man (wie Johnny Häusler es formuliert) beide Augen zudrückt und die SPD als „links“ betrachtet. Das ist gerechtfertig, will man die SPD an ihren Wahlkampfaussagen messen. Jetzt hätte sie die Chance, zusammen mit Grünen und (wo die Realos gerade eh ihre Probleme haben) und der Linken diese Versprechen einzulösen. Das wäre allerdings sehr heikel, angesichts einer äußerst knappen Mehrheit. Wahrscheinlich würde so eine Koalition nach kurzer Zeit auseinander fliegen. Eine Handvoll Abweichler bei SPD, Grünen oder Linken bei dieser oder jener Abstimmung genügen dafür. Säße ich im Willy-Brandt-Haus, bekäme ich da auch Muffensausen.
Da wäre einem fast lieber, Angela Merkel hätte die letzten paar Prozente für eine eigene Mehrheit noch bekommen. Soll sie doch weiterwurschteln, wenn sie die Wahl gewinnt. Jetzt kann sie sich aussuchen, ob sie die SPD oder die Grünen kaputt koaliert. Und wenn beide davor Angst haben und es tatsächlich Neuwahlen geben wird, dürfte die CxU eher noch stärker daraus hervorgehen – sie wäre ja die einzige Partei, die nicht „blockiert“. Am Ende kämen gar noch FDP und AfD rein. Das kann niemand wollen. Also die Kröte küssen?
Mir wäre da fast am liebsten, die Grünen überbacken die Kröte mit Käse. Weil ich ihnen am ehesten zutraue, aus einer weiteren Merkel-Regierung keinen Schrecken ohne Ende zu machen. Ich war immer gegen Schwarzgrün, aber hier geht es nicht um Verräter-Meme, sondern das beste draus zu machen. Dass ich sowas mal schreibe…
Und Piratens? Wir sind da, wo wir hingehören, nach dem, was wir die letzten 18 Monate geliefert haben. Sorry, aber ist so. Christopher Lauer hat das schon aufgeschrieben, das muss ich alles nicht selber wiederholen. Frappierend finde ich den Punkt der fehlenden Analyse. Für mich war die Piratenpartei Ausdruck eines Zeitgeistes, vielleicht sogar einer Generation. So sieht’s gerade eher nicht aus. Vielleicht waren das 2011/2012 doch alles nur Protestwähler, die wieder weitergezogen sind? Wäre schmerzhaft. Noch gebe ich das ganze nicht auf, aber Piraten müssen zwei Dinge kapieren: Zum einen das mit der Mitsprache. Wir sind da mal angetreten, als die, die den (Nicht)Wähler einbeziehen wollen in die Meinungsfindung. Basisdemokratie, Mitsprache und so. Das können wir nicht glaubhaft vertreten, wenn wir es nicht selber auch einlösen, z.B. mit einer ständigen Mitgliederversammlung im Internet. Chaotische Riesenparteitage, zu denen kommt, wer Zeit & Geld hat und sowieso gut vernetzt ist – sorry, da ist jede andere Partei demokratischer organisiert. Will keiner hören, ist aber so.
Zum anderen muss sich die Piratenpartei endlich entscheiden, wer und was sie sein will. Lobby-Truppe für Netzpolitik (die vom Wähler irrelevant gefunden wird), eine neue linksliberale Partei, die FDP ersetzt, oder eine emanzipatorische, progressive Partei, die Visionen hat und mal neue Wege ausprobieren will? Mir fällt die Entscheidung ja leicht. Einen Internet-Verein wählt keiner. Vor allem einen Internet-Verein, der das selber mit dem Netz nicht gebacken kriegt. Für die Piratenpartei ist ab heute Wahlmontag. Ich guck mir jetzt an, wie sich das aussortiert.
Wirklich bitter waren die 3,6% in Berlin. Da hätte ich mir mehr erhofft. Noch bitterer, dass wir aus dem Hype nichts, aber auch gar nichts mitgenommen haben. 1,9% war 2009 ein Achtungserfolg. 2,2% sind heute Stillstand, zumal die fehlenden 0,3% aus Sachsen kommen – der Landesverband hatte sich 2009 nicht an der Bundestagswahl beteiligt. „Wir sind die mit den Fragen“, haben wir mal plakatiert. Wenn wir das ernst nehmen, sollten wir endlich anfangen, auf die Antworten der Wähler zu hören. Aber hey, positiv denken! Die AfD hat’s knapp verpasst, was auf Jeden zwei große Bier wert ist, und dabei noch die FDP kannibalisiert. Epochal. So schlecht war der Sonntag dann doch nicht.