Asylanten in Deutschland: Sie dürfen nicht arbeiten, ihren Landkreis ihr Bundesland nicht verlassen und leben unter unwürdigen Umständen in Notunterkünften, wo sie mehr schlecht als recht verwaltet werden und auf den Ausgang ihres kafkaesken Verfahrens warten, das zumeist bedeutet: Abschiebung. Ein verzweifeltes Häuflein Asylsuchender lehnt sich auf und beginnt einen mehrwöchigen Marsch von Würzburg nach Berlin.
In Berlin angekommen treten sie auf dem Pariser Platz in einen Hungerstreik, um auf die Ausweglosigkeit ihrer Lage aufmerksam zu machen. Es kommt zur Räumungsversuchen. In der ersten Nacht soll es zu Polizeigewalt gekommen sein, aber auch die Polizei beklagt, ein Kollege sei gebissen worden. Das Häuflein wird geduldet, die Asylsuchenden kampieren weiter an Ort und Stelle. In der 5. Nacht versucht die Polizei um 3 Uhr morgens das Camp zu räumen, was nur misslingt, weil mittlerweile etliche Unterstützer vor Ort sind und auch die Nacht über bleiben.
Die verantwortlichen Politiker lavieren herum: Der Senat und das Bezirksamt wollen natürlich klar machen, dass kampierende Asylanten vor dem Brandenburger Tor nicht willkommen sind. Sie wollen sich aber auch nichts zu Schulden kommen lassen, schon gar keinen Menschenrechtsverstoß. Vielleicht helfen ja schikanöse Auflagen.
Mittlerweile haben sich Minusgrade eingestellt. Kampieren ist vor dem Brandenburger Tor verboten. Die Polizei sammelt alles ein, was als Unterlage und Schutz vor Kälte dienen könnte: Zelte, Schlafsäcke, Isomatten, Planen, Kissen. Die Demonstranten sollen lediglich dort herumstehen dürfen. Unterstützer Helfen mit mehr Kleidung. Heißes Wasser wird in Termoskannen herangeschafft. Am folgenden Tag müssen Demonstranten und Unterstützer zweitweise herumstehen und ihre Habe in Tüten hochhalten, damit die Polizei sie ihnen nicht wegnimmt. Zelte werden durch Regenschirme ersetzt, was natürlich nicht funktioniert.
Die Zahl der Unterstützer steigt. Politiker verschiedener Parteien stellen sich ein, unter anderem Petra Pau von der Linken und der Altgrüne Hans-Christian Ströbele und viele, viele Piraten. Sie kommen aber ohne ihre Fahnen: Es soll nicht der Eindruck entstehen, man wolle auf dem Rücken der Asylbewerber Wahlkampf machen. Mittlerweile bilden sich über Twitter organisierte Mahnwachen in Hamburg, München und Düsseldorf. Gelegentlich taucht der eine oder andere Reporter auf. Es reicht nur zu einem Dreizeiler in der „Berliner Zeitung“.
Erst als ein paar bekannte Piratinnen ankündigen, sich vor dem Camp auszuziehen, ändert sich das Bild. In Erwartung nackter Brüste stellt sich ein ganzer Trumm von Fotographen ein. Darunter mehrere TV-Kameras. Statt nackter Haut gibt es jedoch nur Parolen auf Unterwäsche: Die Medienvertreter sollen sich schämen, dass sie wegen sowas in Scharen aufkreuzen, während nebenan Menschen hungern. Aber Asylanten sind numal nicht „sexy“.
Jedenfalls haben die Medien nun ihre Story, die Aufmerksamkeit ist endlich da. Ein Beispiel: Dominik Rzepka von der ZDF-Heute-Redaktion. Er hielt die die Ereignisse rund um das #RefugeeCamp zunächst nicht für berichtenswert. Begründung:
Journalismus ist ein Handwerk. Es gelten nachrichtliche Kriterien. Relevanz, Betroffenheit, Prominenz – das sind einige der Kriterien, nach der wir Ereignisse abzuklopfen haben. Bitte bekommt jetzt keinen Schaum vor den Mund. Aber: Eine Demonstration von 20 Menschen erfüllt diese Kriterien eigentlich nicht. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass die Demo unwichtig ist. Aber die Relevanz überschreitet meiner Meinung nach eine gewisse Schwelle nicht.
Ja, ich weiß, wir neigen dazu, völlig zu überschätzen, was in unserer Filterblase passiert und uns für den Nabel der Welt zu halten, weil viele der Ereignisse irgendwo zwischen Piraten und „Netzgemeinde“ eben nicht relevant genug sind für Tagesschau & Co. Ich habe selber oft genug mit einem versprengten Häuflein Demonstranten am Neptunbrunnen gegen ACTA oder INDECT demonstriert und weiß, dass 20 Demonstranten bei weitem nicht die Relevanz für die Abendnachrichten hat.
Weiter unten in seinem Text führt Rzepka allerdings aus, das schließlich doch berichtet wurde, weil „das Web“ darüber rede. Wenn tausende Tweets durch die Timeline-Rauschen und das Hashtag #RefugeeCamp auf Platz 1 der Trending Topics steht, lässt sich eine Angelegenheit medial nur noch schwer ignorieren. Genauso wenig, wie sich die nackten Brüste von ein paar Piratinnen ignorieren lassen. Herr Rzepka hat indirekt zugegeben, dass das ZDF nichts anderes tut als RTL und „Bild“: Nur senden, was die Leute aufregt. Sowas nennt man Boulevard-Journalismus – Gebürengelder hin, Bildungsauftrag her.
Seit Jahren herrschen untragbare Zustände in Asylbewerberheimen, während unsere Asylgesetzgebung die Menschenrechte mit Füßen tritt. Ein wochenlanger Marsch und ein Hungerstreik vor dem Pariser Platz, wo nur eingefordert wird, dass die unveräußerbaren Rechte im Grundgesetz und die Menschenrechte bitte schön für alle Menschen gleichermaßen gelten müssen – das ist nicht relevant. Das ist für sich genommen nicht berichtenswert, auch wenn es mitten in Deutschland passiert.
Eigentlich erbärmlich. Nein. Uneigentlich.
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7 Antworten zu „#RefugeeCamp, die Medien und die Relevanz“