Zensursula oder: Der Missbrauch der Missbrauchten

Kürzlich hat das BKA mit den größten Providern des Landes einen Vertrag über die freiwillige Zensur von Web-Inhalten geschlossen. Zusätzlich hat das Kabinett gestern einen Gestzesentwurf verabschiedet, der auch noch (fast) alle übrigen Provider dazu zwingen soll, Zensur auszuüben. Es geht um (Achtung, sehr sehr böses Wort!) Kinderpornographie.

Welcher denkende und fühlende Mensch sollte etwas gegen deren Sperrung haben? Sind wir Netizens gefühlskalte Egomanen, denen Kindesmissbrauch vollkommen egal ist, so lange niemand unser schönes WWW kaputtmacht? Ganz bestimmt nicht…

Die so genannte Kinderpornographie hat mit Pornographie als solcher nichts zu tun, sondern ist dokumentierter Kindesmissbrauch. Das bedeutet auch, dass so etwas im Gegensatz zu „herkömmlicher“ Pornographie nicht einfach (z.B. aus Jugendschutzgründen) zensiert werden darf, sondern bis ins letzte bekämpft werden muss.

Glaubt man einschlägigen Quellen, stehen die allermeisten Server in Westeuropa und Nordamerika. Es wäre also ein leichtes, die Server anhand ihrer IP-Adresse ausfindig zu machen und abzuschalten, um anschließend die Betreiber vor Gericht zu stellen. Mit dieser Maßnahme bekämpft man nicht nur den Kindesmissbrauch, sondern sorgt auch nachhaltig dafür, dass er aus dem Web verschwindet.

Statt die Server abzuschalten, wird lediglich die Möglichkeit unterbunden, auf sie zuzugreifen. Frau von der Leyens Gesetzesentwurf hilft also nicht dabei, Kindesmissbrauch zu bekämpfen. Weder sorgt er dafür, dass diese Inhalte aus dem Web verschwinden, noch dass die Urheber vor Gericht gestellt werden. Im Gegenteil: Die Sperre lässt sich mit einfachsten Maßnahmen umgehen. Sobald die eigentlich geheime Liste bekannt geworden ist, kann sie Pädophilen gar noch als Katalog dienen…

Wer eine gesperrte Seite aufruft, bekommt ein Stoppschild zu sehen. Jeder, dem das passiert, wird erfasst und steht ab sofort unter dem Verdacht der Pädophilie. Er muss mit Hausdurchsuchung und Anklage rechnen, so lange er nicht beweisen kann, dass er nur versehentlich auf der Seite gelandet ist. Hier baut sich der Staat einen „Honeypot„: Anstatt Kindesmissbrauch zu bekämpfen, verbleibt das Material im Web, diesmal unter staatlicher Kontrolle, um zu schauen, wer alles so drauf zugreift. Das ist ungefähr so, als würde die Polizei einen Drogendealer nicht verhaften sondern in Ruhe lassen, um an die Käufer heranzukommen. Will man jemanden diskreditieren, braucht man ihm nur noch eine Mail mit einem nur scheinbar vertrauenswürdigen Link zu schicken…

Nur wenn Server in Ländern stehen, in denen wegen abweichender Gesetzeslage kein Zugriff möglich ist, könnte man eine Sperre in Erwägung ziehen. Insgesamt aber ist Zensur eine vollkommen untaugliche Maßnahme, schon alleine deshalb, weil der von Frau von der Leyen herbeiphantasierte „Millionenmarkt“ einer „Kinderpornoindustrie“ nicht existiert. Der Missbrauch findet im privaten Raum statt, das „Material“ wird konspirativ und unter der Hand weitergegeben, z.B. auf Datenträgern. Die ganzen Umstände um den Rücktritt von MdB Jörg Tauss zeigen das beispielhaft.

Das perfide ist, dass das Wort „Kinderpornographie“ ganz offenbar das Denken ausschaltet: Jeder, der gegen dieses Gesetz etwas einzuwenden hat, muss sich dagegen wehren, mit Kinderschändern in eine Ecke gestellt zu werden. Genau dagegen wehrt sich die Initiative Missbrauchsopfer gegen Internet-Sperren. Die Opfer von Kindesmissbraucht fühlen sich erneut missbraucht: dieses mal von Politikern, die versuchen, ihre Ziele durchzusetzen.

Die Causa Leyen hat noch allerlei andere Fußangeln:

  • Manipulation der Öffentlichkeit mit frei erfundenen Zahlen?
  • Aufhebung der Gewaltenteilung?
  • Umkehrung der Beweislast?
  • Mangelnde Kontrolle über die Inhalte der Liste?
  • Zensurgegner und andere politisch unliebsame Webseiten einfach mit drauf?
  • Warum brauchen kleine Provider nicht zu zensieren?
  • Wie wird verhindert, dass ein Warnschild auch die Urheber der jeweiligen Webseite vorwarnt?

Kein Wunder, dass viele Menschen besorgt sind, dass es der Politik insgeheim und die Etablierung eines Zensurmechanismus gehe. Ich möchte das hier nicht im einzelnen erläutern. Quellen gibt es im Web genügend.

Bleibt die Frage: Ist Frau von der Leyen, die alle diese Argumente „unterirdisch“ findet, voller guter Absichten und zugleich unglaublich inkompetent? Oder weiß sie, was sie tut? Hierzu interessiert vielleicht folgende Information:

  • Das Gesetz ist Resultat der Lobbyarbeit von Julia von Weiler, Geschäftsführerin des Vereins „Innocence in Danger“. Die Präsidentin dieses Vereins ist Stephanie Freifrau zu Guttenberg, zugleich Ehefrau des amtierenden Wirtschaftsministers. (Quelle) Mögen Frau Weilers Beweggründe auch noch so ehrenwert sein – dies ist ein Bilderbuchbeispiel, wie gezielte Lobbyarbeit den Rat zahlloser Experten und Fachpolitiker aushebelt.
  • Im Jahr 2008 versuchten Vertreter der hessischen Landesregierung und der Bayrischen Lotterieverwaltung, eine vergleichbare Zensurmaßnahme gegen illegale, ausländische Glücksspielangebote zu installieren. (Glücksspiel klingt harmloser, ist aber auch kaum zu verfolgen, da in sehr vielen Ländern legal, während Kindesmissbrauch in nahezu allen Staaten der Erde verfolgt wird.) Frau von der Leyen hat dagegen interveniert. Ihr Bruder, Hans-Holger Albrecht, ist nämlich Vorstandsvorsitzender des Schwedischen Medienunternehmens MTG, welches indirekt etliche Online-Kasinos in verschiedenen Ländern betreibt… (Quelle)

Liebe Leser, es ist traurig, dass dieses Dementi nötig scheint: Kindesmissbrauch ist ein widerliches und grundsätzlich intolerables Verbrechen. Die geplante Sperre richtet allerdings nichts dagegen aus, sondern schränkt mit unnötiger und unkontrollierbarer Zensur unsere Freiheit und Bürgerrechte ein. Fordern Sie Ihren Vertreter im Bundestag auf, unsere Grundrecht in Ruhe zu lassen und stattdessen Kindesmissbrauch wirksam zu bekämpfen. Sie können hier ein Zeichen setzen.

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