Das neoliberale Utopia 4: Der freie Markt ist keiner

(Teil 1: Crisis in a Nutshell)
(Teil 2: Das Versagen der Autobauer)
(Teil 3: Der vollkommene Markt)

Da der Markt sich nicht selbst regulieren kann, muss der Staat schützend eingreifen, was (richtig gemacht) zu einem besseren Funktionieren des Marktes führt. Ein gut funktionierender Markt bietet aber nur niedrige Gewinne und einen einigermaßen gleich verteilten Wohlstand und ist deshalb überhaupt nicht im Sinne all derer, die ihre Rendite maximieren wollen. Der Ruf nach weniger Regulierung ist also nichts weiter als die Forderung, zu Gunsten von mehr Rendite sozialschädliches Verhalten im Markt zu legalisieren.

Ein sehr gutes Beispiel ist der Arbeitsmarkt: Angebot und Nachfrage funktionieren hier nicht, weil der Arbeitnehmer prinzipiell ersetzbar wie eine Maschine und daher in einer schwachen Position ist. Bei der Debatte um den Mindestlohn wird immer übersehen, dass es faktisch in Deutschland bis in die 90er Jahre Mindestlöhne gab: Die Tarifparteien setzten sich regelmäßig an einen Tisch und handelten die Löhne für die nächsten Jahre auf gleicher Augenhöhe aus. Das geschah einigermaßen flächendeckend und war einigermaßen flexibel. Angebot und Nachfrage wurde quasi simuliert. Dieses in sich sinnvolle System wurde systematisch zu Gunsten der Arbeitgeber ausgehebelt: Bei der Umwandlung in die Dienstleistungsgesellschaft entstanden immer mehr Branchen und Berufe, die nicht tarifgebunden waren. Und in den klassischen Branchen wurden Scheingewerkschaften von den Arbeitgeberverbänden gegründet, mit denen man niedrigere Tarife aushandeln konnte. Die Hartz-Gesetze sorgen dafür, dass immer mehr Menschen weit unter Tarif beschäftigt werden. Diese gesetzlichen Regelungen zwingen die Menschen, Jobs zu Dumping-Löhnen anzunehmen. Dem soll jetzt ein unflexibler, einheitlicher Mindestlohn abhelfen, obwohl wir früher ein vielleicht nicht perfektes, aber wesentlich sinnvolleres System hatten.

Hintergrund dieser Reformen und Ideal des Neoliberalismus ist, unternehmerische Prinzipien und Marktmechanismen allen Lebensbereichen zu Grunde zu legen und aus allen Menschen Unternehmer in eigener Sache zu machen. Im freien Markt gehen Marktteilnehmer bankrott, wenn sie nicht mithalten können. Marktteilnehmer sind aber nicht nur Unternehmen sondern auch Menschen, und die lassen sich (im Gegensatz zu einem Unternehmen) nicht mal eben liquidieren. Das Denken in Märkten ist auf die Gesellschaft eben nicht übertragbar, und dort wo es doch übertragen wird, herrscht das Recht des Stärkeren anstelle ausgleichender Regulierung. Den Markt völlig unreguliert zu lassen ist für die Ökonomie ungefähr so, wie es für die Gesellschaft wäre, das Strafgesetzbuch ersatzlos zu streichen.

Der freie Markt der Neoliberalen ist eine genauso gefährliche Utopie wie der ausgeschaltete Markt der Sozialisten. Ein völlig freier Markt funktioniert eben so wenig, wie eine vollkommen durchregulierte Planwirtschaft.