Astoria, Zwickau
Ein kleines Geschöpf: hinreißender Blondschopf, Stupsnase, artig, folgsam. Und ausgestattet mit diesem Blick, mit dem es sagen kann: „Ich hab dich lieb, Mami.“ – welche Gefühle hätte man, egal ob männlich oder weiblich – gegenüber diesem Geschöpf? Wenn es wie ein süßer Fratz aussieht? Wenn man wüsste, dass es eine Maschine wäre? Und was, wenn es vielleicht mehr als eine Maschine wäre?
Solche Maschinen werden vielleicht existieren. Nicht in naher Zukunft, aber es gibt keinen Grund, warum das technisch langfristig unmöglich sein sollte. Und es wirft eine Menge Fragen auf. In einem Amerika nach der Klimakatastrophe existieren sie – Roboter, die wie Menschen aussehen, ihnen Arbeit abnehmen. Z.B. künstliche Gigolos, mit denen man „besseren Sex“ erleben kann, als mit einem echten Mann. Diese Maschinen machen natürlich auch wieder Menschen überflüssig. Und werden dafür von nicht wenigen gehasst, sogar gejagt.
Besonders perfide ist die Idee, künstliche Kinder herzustellen, für Eltern, denen echte Kinder versagt bleiben. Kinder mit einem Ausschalter, für die man keinen Babysitter braucht, wenn man ausgehen will, aber Kinder, die einen liebevoll ansehen, wenn man ihnen Märchen vorliest. Monica und Henry sind solche Eltern. Ihr Sohn liegt im Koma, so bekommen sie David ins Haus. David ist zunächst einfach nur eine Maschine. Aber man kann ihn zu rückhaltloser Liebe konditionieren, indem man ein Programm startet. Ein Programm, dass sich nicht rückgängig machen lässt. Entgegen allen Warnungen, es nur zu tun, wenn sie sich ganz, ganz sicher sei, setzt Monica es in emotionaler Verwirrung in Gang.
Natürlich ist David nur ein „Supertoy“, ein Ersatz. Als sein „Bruder“ aus dem Koma erwacht, ist David nicht nur überflüssig, er setzt auch Konflikte frei, wie sie sich stärker oder schwächer immer unter „Geschwistern“ abspielen – die Konkurrenz um die Mutterliebe. Und es wirkt schon hier beängstigend, wie David von seinem Programm abweicht und immer deutlicher menschliche Züge entwickelt. Eine Frage der Zeit, wann sich die Situation so zuspitzt, dass man ihn aussetzt. In einer abgrundtief traurigen Szene lässt Monica ihn in einem Waldstück zurück, und die Maschine David kann nichts weiter, als seine „Mutter“ programmgemäß zu lieben, eine entsetzliche Angst vor Trennung und Alleinsein zu haben.
Allein im Wald zurückgelassen begibt David sich auf eine Odyssee. Er sucht seine „Mutter“ – und er sucht wie ein High-Tech-Pinocchio nach der „blauen Fee“, die ihn vielleicht in ein richtiges Menschenkind verwandeln kann. Dabei gerät er in die Fänge von Menschen, die Jagd auf Maschinen machen, lernt alte, abgewrackte Modelle kennen, die einerseits wie zombiehafte, kaputte Maschinen wirken, doch andererseit wieder beängstigend lebendig. Eine „Liebesmaschine“ und ein intelligenter Teddy helfen ihm auf seiner Suche, und wenn er ans Ziel gelangt und hinter das Geheimnis seines Daseins kommt, schließt der Film nur seinen zweiten Akt, wendet die Handlung vollends ins Märchenhafte und steuert in psychedelischen Bildern auf ein grandioses Ende zu.
Tiefe, existenzielle Fragen sind es, die der Film aufwirft. Wenn wir einer Maschine Bewusstsein einprogrammieren. Wenn wir ihr die Möglichkeit geben, ihr eigenes Ich zu reflektieren, wenn wir sie so programmieren, dass sie lieben kann, was die Fähigkeit zu Hassen und Schmerzen zu empfinden zwangsläufig einschließt – was unterscheidet diese Maschine noch von einem menschlichen Wesen?
Selbst wenn man ausklammert, dass es sich um eine Maschine handelt, so wird David trotzdem knallhart mit so ziemlich allem konfrontiert, was einem Menschen seelisch weh tun kann. Geschwisterkonkurrenz, Entzug der Mutterliebe, Einsamkeit, die Feststellung, dass man ein Individumm ist, später die Feststellung, dass man keinesfalls einzigartig ist – hier verstörend gezeigt in der grandiosen Szene, in der David völlig identische Replikationen seiner selbst findet, die schon komplett verpackt für die Ladentheke bereitstehen.
„A.I.“ rührt an die tiefsten Traumata und Ängste eines Menschen. Er tut dies bisweilen mit brutaler Kälte, bisweilen einfühlsam doch tief traurig. Ein amibitioniertes Projekt, für das Stanley Kubrik 1982 die Rechte erworben hat, das er jedoch nie verwirklichen konnte. An seiner Stelle übernahm Steven Spielberg – auf Kubriks Wunsch hin – den Part. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Meisterwerk. Spielberg muss einen Haufen Dokumente aus dem Nachlass von Kubrik gesichtet haben: Texte und Designskizzen. Und Spielberg scheint Kubriks Stil sehr genau analysiert zu haben. Jedenfalls sieht der Zuschauer über lange Strecken vor allem eines: einen Kubrik-Film.
Dennoch ist Spielbergs Handschrift – speziell im letzten Drittel es Filmes unübersehbar. Spielberg kann nocheinmal der Magier sein, in großartigen Bildern an Filme wie „E.T.“ erinnern. Und ich glaube nicht, dass „A.I.“ nur aus Zufall eine ähnliche Abkürzung als Titel verpasst bekommen hat. Scheinbar, aber auch nur scheinbar, steuert Spielberg den Film massiv in Richtung Kitsch. Dennoch ist jederzeit klar, dass das, was er zeigt, nichts anderes ist, als Kubriks Vision.
Schade, dass es einige Unschönheiten wie kleinere Logikfehler gibt, z.B. der Tatsache, dass wohl kaum das Eis der Polkappen ausreicht, um in der Klimakatastrophe den Meerespiegel um geschätzte 100 m steigen zu lassen. Vielleicht ist der Druck auf die Tränendrüsen zeitweise übertrieben, vielleicht mag der herumwackelnde Robo-Teddy einige Zuschauer nerven. Vielleicht ist der Film insgesamt zu lang geraten.
Das spielt alles kaum eine Rolle, denn bis zuletzt strotzt die Storyline von intelligenten Einfällen. Kubrik liefert er nochmal das Fazit seines Schaffens, und es spricht für die Stärke seiner Vision, dass Spielberg trotz einiger Schnitzer dem Film nicht wirklich schaden konnte. Er unterhält – bisweilen mit angemessenem Humor -, er bietet erstklassige Effekte und Animationen und die berauschende visuelle Umsetzung einer Welt, wie sie in Zukunft wirklich sein könnte. Wie jede gute Science Fiction, ist er eine Parabel und beschäftigt sich mit philosophischen und ethischen Fragen. Er bietet eine überaus intelligente Storyline, eine stringente Handlung und vor allem: erstklassige Darsteller. Neben Jude Law als Gigolo-Roboter spielt vor allem Haley Joel Osment auf absolut faszinierende Weise den menschlich wirkenden Automaten – für den Kinderstar eine Leistung, die weit über „Sixth Sense“ hinausgeht.
Man genieße „A.I.“ wie jemand der keine Schmalzbrote mag: Die dicke Schmalzschicht abstreifen und den Rest genüsslich verinnerlichen. Szenen, die zu Tränen rühren, hat der Film auch dann noch. Und zwar authentische. Dies ist eines der größten Meisterwerke Spielbergs wie Kubriks, ja eine Synthese zweier völlig verschiedenen Stile zu etwas völlig Einzigartigem.
USA 2001, 145 min
mit Harley Joel Osment, Jude Law, Frances O’Connor
Regie: Steven Spielberg